unmenschlich

Kunst als menschlichste Eigenschaft

(c) Nikolina Žunec und Bertram Schrettl - Gegenseitiges Portrait

Trafen sich zwei, ohne Angst vor dem „leeren Blatt“, lernten sich kennen und wurden ein Paar. Bertram Schrettl und Nikolina Žunec sind nicht nur die Gründer von Humans of Innsbruck, sondern auch Künstler. Bei Kakao und Zigaretten erzählen sie uns am Küchentisch, was Kunst mit Kindheit zu tun hat, wie beschleunigte Psychoanalyse funktioniert, warum religiöse Symbole auch für Agnostiker bedeutsam sein können und inwiefern „Sinnloses“  sinnvoll sein kann.

(c) Bertram Schrettl

Freitag Nachmittag in einem gemütlichen Innsbrucker Viertel, spielende Kinder, Schaukeln im Garten, weißgetünchte Wohnblöcke und ein bisschen Autobahnlärm darüber, unvermeidbar in der Alpenkapitale. Fast schon eine kitschig-perfekte Gegend hier, so gediegen, bemerke ich grinsend hinter der Türschwelle. Bertram Schrettl führt mich in die Küche, seine Partnerin Nikolina Žunec schmunzelt. Das ist so, wenn man ein Kind hat, da muss man schon drauf achten, wo man bleibt.

Jäh schauen die Kinderaugen auch schon um die Ecke, ein bisschen forschend, wer um diese Zeit stört – und frecherweise die Eltern gleich so in Beschlag nimmt. Schnell verschwinden sie wieder in der Tiefe der Wohnung, die voller Bilder hängt – ein Künstlerhaushalt, eben alles andere als gewöhnlich und gediegen. Aufregende Collagen hängen neben klar umrissenen Zeichnungen, Abstraktes neben Konkretem, manches stimmt nachdenklich, anderes fröhlich. Aber wie ist das eigentlich mit dem Künstler sein, ist das Handwerk oder Bestimmung?

Künstler sein (lernen)

„Bei mir war‘s auf jeden Fall autodidaktisch,“ überlegt Betram und zieht an seiner Zigarette. „Ich hab als kleines Kind schon gern gezeichnet. Dann ist das in den Hintergrund gerückt. Angefangen hab ich wieder, wo ich mich das erste Mal tätowieren hab lassen,“ meint er mit Blick auf seinen Arm. „Ich hab nach der HTL als Steinrestaurator gearbeitet und ein Studium gewählt: Theater und Literaturwissenschaften. So hat sich alles theoretisch, praktisch und arbeitstechnisch wieder auf die Kunst fokussiert.“

(c) Bertram Schrettl

Nikolina nickt. Wie es bei ihr war, möchte ich wissen. Sie überlegt und nippt am Kakao. Sie stamme eigentlich aus Kroatien und habe dort Gedichte geschrieben, auch Preise dafür gewonnen. „Sie hat zwei Lyrikbände geschrieben,“ präzisiert Betram, nicht ohne Stolz. „Genau, danke“ – schmunzeln hinter der Kakaotasse – „Also beim Soziologie-Studium hab ich einen Österreicher kennengelernt und bin mit ihm hergekommen. Ich habe die Sprache nicht gesprochen und musste Gelegenheitsjobs machen, Fließbandarbeit und so. Dabei hatte ich sowas wie eine Offenbarung,“ erinnert sie sich lebhaft:

„Ich war psychisch fertig, wie ein Kind verloren, ohne Sprache, ohne Familie – und hab begonnen zu malen!“

Es folgte die Ausbildung zur Kunsttherapeutin. Heute arbeitet Nikolina auch mit behinderten Menschen. Dabei nimmt sie sich ein Beispiel an Picasso. „Zu malen wie ein Kind, hat mich immer interessiert.“

(c) Nikolina Žunec
Kunst als Befreiung und Psychoanalyse

Betram sieht die Kunst als das „Menschlichste, was wir hervorgebracht haben.“ Keine Kopie von Dingen, die es in der Natur schon gibt. Bei Kunst gehe es aber nicht immer um einen Sinn, insistiert er, und erinnert in dieser Haltung an Oscar Wilde mit seinem l’art pour l’art-Konzept. „Es muss nichts sein, kann aber alles sein. Ich hab mich auch immer bemüht relativ wenig vorzugeben bei meinen Bildern, die Leute sollen selbst interpretieren können…

(c) Bertram Schrettl
(c) Bertram Schrettl

…Für mich ist Kunst einfach etwas sehr Intimes und gleichzeitig etwas sehr Befreiendes, das dich sehr zufrieden machen kann, wenn du ein kreativer Mensch bist – “

„…und wenn nicht?“, hake ich nach. Die Asche wechselt mit leisem Schnippen den Aschenbecher.

„Ich hab einen Bekannten gehabt, für den war es schon im Kindergarten schlimm, wenn er was malen musste,“ lacht Betram und wechselt einen Blick mit Nikolina. „Von dem hat man immer das leere Blatt aufgehängt.  Ich find es gut, dass Kunst keiner Ideologie, keiner Technik gegenüber Verantwortung tragen muss. Im Moment des Schaffens, denkst du drüber nach und verarbeitest auch viel. Das kann dich zufrieden machen.“

Für Nikolina geht das noch weiter. Für sie bedeutet Kunst Selbsterfahrung, eine beschleunigte Psychoanalyse, in der man viel über sich lernt und immer Neues dazu.

„Ich brauche auch den spielerischen Aspekt, zwecklose Tätigkeit, frei sein, wie ein Kind.  Kunst ist für mich momentan der einzige Weg zu diesem Kindheitserlebnis, wo man noch gespielt hat, ohne Reglementierungen.“

(c) Nikolina Žunec
(c) Nikolina Žunec

Das Ergebnis wird dann dem Betrachter zur Verfügung gestellt. So stecken also beide im Bild, Rezipient und Künstler, betont Betram – man gebe als Künstler nur die Performance vor.

Leben als Künstlerpaar

Performed haben Nikolina und Bertram schon an diversen Orten, etwa in Prag, im Stromboli in Hall, oder in der Innsbrucker Bäckerei. „Nikolina stellt öfters aus, aber wir haben auch schon Gemeinschaftsprojekte gemacht, z.B. das Kleine Riesenrundgemälde mit Katze und Hund.“ (Bilder)

(c) Nikolina Žunec
(c) Bertram Schrettl

Aber zwei schöpferische Geister in einer Wohnung – ist das nicht schwierig? Kurz dringt nur das Vogelgezwitscher in die Küche. Wieder ein Schluck Kakao. Betram drückt seine Zigarette aus. „Schwieriger ist eher, dass ich im Moment mehr Zeit für die Kunst hab,“ sagt er dann, „Nikolina würde das auch gern mehr machen und ist dann vielleicht etwas…“

„…neidisch,“ beendet sie den Satz grinsend.

„Wenn ich male,“ erklärt er weiter, „arbeite ich auch bis spät in die Nacht, aber ich bin sehr froh, dass wir die Beziehung so haben. Es ist das Verständnis da, dass man zwischendurch was machen muss.“

„..und er ist immer aktiv. Wenn er nur 10 Minuten Zeit hat, dann schnipselt er schon wieder irgendwas. Ich hab auch wieder Phasen, da bin ich wie in einem Kokon, fast schon depressiver Stimmung und in der Phase nervt er mich und da bin ich neidisch… aber ich bin auch sehr froh, er inspiriert mich total. Ich hab jetzt meine erste Collage gemacht, das würde ich sonst nie machen. Mit anderen Männern war es schwieriger, die verstehen dich nicht oder sind nicht verrückt genug…“

„Mich inspiriert sie auch. Wenn man mit jemandem reden kann, der selber malt, da passiert was…wir haben bisher bei gemeinsamen Projekten auch nie Streit gehabt, da streitet man eher einfach so“ [lacht].

Von Puppen beim letzten Abendmahl und Scripted Reality
(c) Nikolina Žunec

Bei ihren Projekten verarbeiten die beiden nicht nur persönliche Themen, sondern auch immer wieder gesellschaftlich aktuelle. „Damals gab es z.B. diese Missbrauchsgeschichte mit der Kirche,“ erzählt Nikolina, „das hab ich in einem kitschigen Puppenhaus verarbeitet, wo Puppen sozusagen „Abendmahl“ halten. Daneben interessiert mich aber auch das Dunkle, Zerstörerische, Skurrile.“ (Bild)

Auch Betram fasziniert das Skurrile, Groteske. Eine Weile war es der unglaubliche Überfluss an Information, neuerdings sind es eher Robotik und neue Technologien samt ihrer Konsequenzen: Menschliche Arbeit wird obsolet, das darwinistische Selektionsprinzip außer Kraft gesetzt, während wir gleichzeitig in trivialem Trash versinken.

„Es kommt mir manchmal so vor, als wären wir selbst Gott geworden. Wir können den Planeten auch alleine zerstören, wir brauchen Gott nicht mehr…und dabei schauen wir uns Scripted-Reality-Shows an, in denen irgendein Schmarrn passiert und wir tun, als ob‘s Realität wär, dabei ist es Bullshit. Ich finde das spannend, wir können jederzeit alles sehen, konsumieren und entscheiden uns zu weiten Teilen für den Müll und den Trash.“

Wieder linsen zwei Augen durch die Küchentür, diesmal begleitet von einem kleinen, pelzigen Begleiter. Man verhandelt kurz über Pläne für den weiteren Nachmittag. Ich lasse den Blick durch die Küche schweifen. In der Wohnung hängen nicht nur viele Bilder, auch viele Kreuze zieren die Wände  – und Jesus Bertrams Shirt. Ob er gläubig ist, möchte ich von ihm wissen. Wieder kurze Überlegungspause. „Ich bin Agnostiker,“ meint er, mit der Kirche habe er nicht viel am Hut – obwohl er sogar Ministrant gewesen sei, früher. Trotzdem fasziniert ihn die Symbolkraft der religiösen Bilder noch immer. Auch heute kann Kunst diese Kraft noch ausüben.

„Wenn man sich anschaut, wie hohe Wellen manche Ausstellungen und Werke schlagen, selbst alte Werke, dann ist da eine Energie, ein subversives Moment. Ich glaube, dadurch dass es so zweckentfremdet ist und nichts erfüllen muss, ist es ehrlicher als vieles andere. Man bedient nicht mehr nur das Sakrale oder das Bürgertum…

…Kunst ist für alle Gesellschaftsschichten da und kann den Konservativismus genauso vorantreiben wie die Revolution.“

(c) Nikolina Žunec

Für alle Gesellschaftsschichten gedacht, ist auch die derzeitige Ausstellung der beiden im Rahmen des Kunstsymposium vom Künstler-Kollektiv Wildwuchs im Haus der Begegnung. Das Thema lautet Mut-Willig und Gegen-Licht. „Da haben wir uns vorgenommen, dass wir zusammen eine Collage machen, jeder macht seine Seite und zum Schluss werden wir sie zusammenfügen.“ Natürlich sind die beiden auch weiterhin für Humans of Innsbruck unterwegs, sammeln Geschichten, unabhängig von ihrer Kunst.

Nikolina stellt ihren Kakaobecher in die Spüle, Bertram schließt den Aschenbecher. Kurzes Vogelgezwitscher im Raum. Drei letzte Fragen habe ich noch und notiere auf einem Blatt Papier:

Wann habt ihr das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?

N: „Eine Kollage!“ [lacht, Blick zu Bertram]

Einmal und nie wieder?

N: „Hm, da fällt mir nichts ein, fällt dir was ein?“

B: „Ich überlege grad…“

N: „…was man bereut hat?“

B: „Ich bereue so wenig – ich mach auch grundsätzlich alle Fehler zwei Mal, hab auch zwei Mal auf eine heiße Herdplatte gegriffen.“ [lacht]

Wenn ihr eine Sache ändern könntet, was wäre das?

N: „Ich hätte Kunst studiert – ich wollte es und hab es nicht gemacht.“

B: „Ich hätte nicht mit dem Rauchen angefangen.“

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