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Ein Bürger vieler Welten

(c) Jules

Er ist Pusterer, 34 und hat alles studiert oder probiert, was sich mit diesem Alter nur ausgehen kann: Andy Stauder ist Geschäftsführer mehrerer Unternehmen, Digitalisierungsprofi, Uni-Lektor, Übersetzer, Autor, Verlagsmitgründer, Bogenbauer und belegt als leidenschaftlicher Mittelalter-Schwertkämpfer mit seiner Mannschaft derzeit Platz drei der Weltrangliste. Mit Unhappyus hat er über sein Erfolgsrezept geplaudert, über skurrile Dialekte, fixierte Erinnerungen, Beziehungen am Arbeitsplatz und die Kunst, richtige Entscheidungen zu treffen.

(c) LFV-Tirol _Andy Stauder

1.) Grade hast du noch auf deine Tastatur gehämmert – wie geht’s dir, stressig heute?

[lacht] Ja, immer ein bisschen…

2.) Diesen Eindruck hat man auch, wenn man deine Biographie betrachtet – du hast Physik studiert, dann Slawistik, Translations-wissenschaften und angewandte Sprach-wissenschaft, zwischendrin Informatik. Ein Bürger vieler fachlicher Welten könnte man sagen. Klingt spannend, aber auch nach einem ziemlichen Pensum, oder?

Ja, war intensiv [lacht]. Abgeschlossen hab ich dann den Philosophie-Bachelor, den Magister in Sprachwissenschaft, den Bachelor in Translationswissenschaft in Italienisch sowie Englisch und den Magister in Russisch sowie das Doktorat in Sprach- und Medienwissenschaft. Ich mache fast alles fertig, was ich anfange. Gar alles geht sich in keinem Menschenleben aus. Man muss manchmal einen neuen Weg einschlagen, wenn man merkt, dass man mit einem nicht glücklich ist. Das hab ich öfters gemacht. Neben dem Studium hab ich zum Beispiel im IT-Bereich gejobbt – dadurch hab ich meine technische Laufbahn aufgebaut. Bei mir schwankte es immer zwischen Geisteswissenschaften und Technik.

3.) Hast du es schwer gefunden, dich zwischen all den Möglichkeiten zu entscheiden?

Alle drei bis vier Jahre stehe ich vor größeren Wendepunkten, wo ich was lassen muss oder was Neues dazu nehme. Es war nicht immer leicht. Vor allem an der Physik ist mir viel gelegen – aber ich hab gesehen, dass ich da wahrscheinlich nur mittelmäßig sein kann und ich finde, man sollte immer das machen, wo man richtig gut ist im Leben. Aber von der Technik und Naturwissenschaft bin ich doch nicht ganz weg, brotberufsmäßig hab ich mich hauptsächlich dort weiterentwickelt. Zwischenzeitlich mach ich aber noch immer Übersetzungen.

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4.) Bleiben wir einen Moment dabei. Was fasziniert dich an den Sprachen?

Schwierig zu sagen – mich interessiert prinzipiell fast alles. Bei manchem bleibe ich dann hängen, wenn ich merke, da kann ich was bewegen oder da hab ich Talent. Sicher ist auch im Elternhaus eine starke Förderung dagewesen, vor allem unsere Mutter hat versucht, viele Interessen zu wecken. Ansonsten finde ich Sprache extrem interessant, weil es unser wichtigstes Denkwerkzeug ist.

5.) Tatsächlich hast du`s neben deinen ganzen Tätigkeiten geschafft auch noch ein Buch zu schreiben, zum Sextner Dialekt. Was ist das Besondere daran?

Sehr interessantes, historisches Zufallsprodukt würde ich sagen. Sexten, da komme ich auch her, ist der äußerste Osten von Südtirol. Der Dialekt ist eine südliche Variante der deutschen Sprache – Mutterland wäre ja Österreich. Im Süden gibt`s Venetien mit einer natürlichen Sprachbarriere und im Hinterland liegt das Südtiroler Kerngebiet. Genau mitten drin ist der Dialekt – so hat er einige Einflüsse abbekommen, aber auch viel Uriges bewahrt. Ein typisches Wort wäre  „kriechen“ – das hieße bei uns „kroichn“. Das gibt’s nur im obersten Pustertal. Damit zog man immer gleich das Gelächter der Schulkollegen auf sich [lacht] – in Bruneck fallen die Leute aus dem obersten Pustertal und Ahrntal wirklich am meisten auf.

6.) Ist es wichtig, Dialekte zu bewahren?

Ja. Sie zeigen Prozesse auf, Sprachwandel. Außerdem sind Dialekte die Sprache der Nähe: Dialekt hat ein größeres emotionales Potential als Hochdeutsch, weil man ihn mit weniger Leuten teilt – es ist die Sprache der Familie, der Freunde. Auch die Sprache der emotionalen Ausbrüche, z.B. wenn man sich den Zeh am Kastl anhaut.  Womit ich aber etwas Probleme hab, ist, dass der Dialekt auch stark identitätsstiftend und -bewahrend wirkt. Identität hat auch Schattenseiten: Jede Art von Feindlichkeit etwas Fremden gegenüber wurzelt in der Identität. In Südtirol merkt man das auch. Dort wo die urigsten Dialekte sind und wo die Leute am wenigsten mit dem Fremden zu tun haben, wachsen oft die Ängste.

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9.) Hauptberuflich versuchst du auch Dinge zu bewahren, etwa bei Innsbruck University Innovations, kurz IUI – was macht ihr genau?

IUI passt gut zu mir, weil es ähnlich kompliziert  ist wie mein Werdegang – es versucht verschiedene Dinge unter einen Hut zu bringen. Es ist ein Tochterunternehmen der Uni. Der Hauptzweck besteht darin, das Knowhow aus der Uni in die Wirtschaft zu bringen. Unser größter Geschäftsbereich ist die Digitalisierung, heißt: alte Dokumente, Filme, Dias et cetera einscannen und so bewahren, dass sie besser verfügbar werden. Außerdem gibt es eine Handschriftenerkennung, um die Informationen aus den Dokumenten rauszuholen. Zusätzlich machen wir Übersetzungen und betreiben einen Fanartikel-Shop für die Uni Innsbruck mit Kleidern aus fairen Materialien.

10.) Ich kann mir vorstellen, dass in eurem Unternehmen auch skurrile Dinge daherkommen…

Details darf ich nicht verraten, aber es ist interessant zu sehen, was so aufgezeichnet worden ist. Einerseits hat man das Gefühl, man hätte schon das fünfhundertste Kind beim Laufenlernen gesehen. Interessant ist aber auch, wenn auf den alten Kassetten was reinrutscht, wo man als Kunde vielleicht nicht dran gedacht hat, dass das noch drauf ist – hin und wieder gibt es z.B. etwas mehr nackte Haut. Manchmal kommen auch bekanntere Persönlichkeiten zu uns und manchmal gibt’s Dinge, die nicht immer der eigenen Weltanschauung entsprechen: (pseudo-)wissenschaftliche, politische oder esoterische Dinge. Das wird alles abgewickelt, aber immer diskret – die Daten werden datenschutzkonform verarbeitet und werden auch verlässlich wieder gelöscht. Es ist ein bisschen wie früher, wenn man dem Fotografen die Filme gab zum Entwickeln – der musste dann auch schweigen. Bei Gewaltverbrechen hört der Datenschutz allerdings auf, das ist meldepflichtig, aber das ist uns noch nicht untergekommen.

11.) Ich hab gehört Erfindungsreichtum gibt’s auch bei den Behältnissen, wo die Medien enthalten sind – von Lunchboxen über Koffer….

Ja, unterschiedlich. Die einen packen es x-mal ein, obwohl drin was fast „Unkaputtbares“ ist wie etwa eine Videokassette mit Hülle. Andere stecken Fotos dann einfach in ein Kuvert, dabei können die Bilder leicht beschädigt werden. Manche schicken das Material ohne Bedenken mit der Post, andere kommen schon fast mit bewachender Eskorte vorbei – hängt davon ab, wie viel den Leuten die Erinnerungen wert sind.

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12.) Du arbeitest ja an vielen Baustellen – wird dir die Arbeit nicht manchmal zu viel?

Natürlich. Je mehr man macht, desto mehr stören sich die einzelnen Dinge gegenseitig. Die Herausforderung ist, alles am Laufen zu halten. Aber der Frust hält sich in Grenzen. Stress ist nicht prinzipiell was Schlechtes, aber man muss schauen, dass es guter Stress ist, dass man was bewegt mit der Belastung. Schlechter Stress ist, wenn die intensive Belastung nirgends hinführt. Klar hat man diese Momente auch, aber großteils hab ich schon das Gefühl, dass man was erreicht. Das gibt mir Energie.  Die Leute fragen oft: Wie schaffst du das? Das Geheimrezept ist die Motivation – man sieht, was man bewegt. Die Belastung muss aber großteils positiv sein, damit man so leben kann.

13.) Deine Partnerin arbeitet mit dir in der Firma. Ist eine Beziehung am Arbeitsplatz schwierig?

Es hat Vor- und Nachteile. Dass man zusammen an einem großen Projekt arbeitet, fördert ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Andererseits ist die Arbeit im Privatleben auch mehr Thema. Ich habe damit aber eigentlich kein Problem. Für mich verläuft die Grenze zwischen Arbeit und Leben ohnehin fließend, so wie früher auf dem Bauernhof bei Bauer und Bäuerin. Da war das Leben auch Arbeit. Für mich ist das ein natürlicher Zustand.

14.) Du sagst auch, du brauchst nicht wirklich Urlaub…

Ich glaube, es ist wichtig, dass man Abwechslung hat im Leben und wenn man verschiedene Dinge macht, hat man diese ja. Urlaub ist auch nichts anderes als Abwechslung, so wie ein Skiurlaub zum Beispiel.  Aus der körperlichen Belastung zieht man Energie für andere Bereiche. So versuche ich die verschiedenen Dinge im Leben auch zu nutzen, um wechselseitig Energie bereitzustellen. Natürlich hab ich aber auch noch Freizeit…

15.) Und da machst du ebenfalls etwas Ausgefallenes: Schwertkampf. Wie kommt das?

Das fällt in den Bereich Mittelalter-Hobby. Ich bin aus historisch-handwerklichem Interesse drauf gestoßen. Das Mittelalter hat mich immer schon interessiert. Wissenschaftlich wird es nämlich oft missverstanden – im „dunklen“ Zeitalter sind doch auch viele Neuerungen passiert. Ich hab angefangen Pfeilbögen zu bauen, hab Kurse gemacht, selber angeboten. So hab ich zum Vollkontaktkampf gefunden – also wo sich Leute in Rüstungen einkleiden und mit Stahlschwert aufeinander losgehen [lacht]. Ich will nichts beschönigen, es ist ein Kampfsport, kein Schaukampf.  Dabei ist fast alles erlaubt. Die Waffen sind stumpf, aber gleich schwer wie die Originale. Wenn wir zu Turnieren fliegen, behelfen wir uns übrigens manchmal damit, dass wir die ganzen Sachen einfach anziehen. Das ist dann beim Flughafen immer witzig, wenn man metallbehängt durch die Sicherheitskontrollen geht. Das hatten wir auch jetzt in der Ukraine, den meisten hat es gut gefallen.

(c) Andy Stauder

16.) Gutes Stichwort. Man darf gratulieren – eure Mannschaft, das österreichische Nationalteam,hat ja den 3. Platz bei der Weltmeisterschaft in der Ukraine belegt. Wie ist das eigentlich, ihr seid in eurem Team alles Männer – gibt es auch Frauenteams in diesem Sport?

Danke. Ja, es gibt auch Frauen, weniger aber durchaus einige. Sie sind mindestens genauso hart im Nehmen wie etwa die Fußballspielerinnen – bei den Fußball-Männern wird ja viel gelitten und auf dem Boden herumgerollt, Frauen stehen gleich wieder auf.  Bei uns ist das anders: Sowohl Männer als auch Frauen in diesem Sport haben eine hohe Schmerztoleranz und sind körperlich sehr fit.

17.) Kehren wir zurück zu deiner Arbeit als Geschäftsführer. Mittlerweile wird ein europäisches Projekt angestrengt, wo du ebenfalls Geschäftsführer sein wirst. Was steht für die Zukunft an?

Jetzt ist gerade eine europäische Genossenschaft in Arbeit, die die Handschriftenerkennungstechnologie weiterentwickeln und betreiben soll. Der Andrang ist sehr groß, viele sind beigetreten – Archive, Bibliotheken, Banken … Die Technologie dafür ist im Rahmen des EU-Projektes „Read“ entstanden. Es funktioniert so: Zuerst schreibt man einen kleinen Teil mit der Hand der historischen Dokumente ab, davon lernt die Maschine die Schrift und kann sie so selbst entschlüsseln. Innsbruck war Projektkoordinator und hat die Benutzerplattform entwickelt. Jetzt hoffen wir, dass noch viele weitere Institutionen dazukommen und dass es einen Beitrag dazu leistet, historische Schätze zu heben und massenhaft Infos aus der Vergangenheit verfügbar zu machen.

Zum Abschluss möchten auch wir noch einige kurze Infos von dir haben, nämlich:

Wann hast du das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?

– Bei der Weltmeisterschaft mit der Rüstung im Flugzeug sitzen [lacht]

Wenn du eine Sache im Leben ändern könntest, was wäre das?

– Den Tag länger machen, nein – eigentlich bin ich ziemlich zufrieden.

Einmal und nie wieder?

– Pizza in Deutschland. Zwischen Italien und Südtirol ist essenstechnisch ein schönes „love child“ entstanden. Mit italienischer Küche im Ausland wird`s schwierig.

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