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Vom Schein der Heiligkeit

Wenn die Sonne untergeht, gehst du nach Hause.

Gott, Gedanken, Literatur, Gesellschaft, Kirche(c) Nicole Mason

E igentlich war es schon immer irgendwie so, zumindest seit du dich erinnern kannst. Es hat dich auch nie gestört. Zwar gibt es Straßenlaternen, doch funktionieren diese Lichtbringer nicht ohne Elektrizität – ebenso wenig wie der Backofen und die Kochplatte, das Fernsehgerät und das Radio. Gebracht haben dir diese schönen, jedoch nutzlosen Errungenschaften die weißen Männer mit den weißen Krägen, mit fremden Titeln und Namen wie Pater Erich oder Monsignore Alfredo.

Nur wenige dieser Missionare leben heute noch hier in deinem Dorf, keiner dieser Selbstlosen schläft aber wie du in einer ärmlichen Wellblechbehausung. Dein Vater und Großvater lebten noch in einer einfachen Hütte aus Lehm, bei deren Bau aber damals das ganze Dorf zur Hand ging.

Doch diese unzivilisierten Zeiten sind vorbei, hörst du?

Auf der Lehmgrube deiner Vorfahren steht dieser glücklichen Tage das Winterdomizil eines pensionierten Immobilienmaklers. Betreten verboten, prangt in großen Lettern auf dem Schild, eine hohe Mauer lässt mit Stacheldraht das Verbot zur Warnung werden. Alles rechtens, nicken die Herrschenden, immerhin hat der feine Herr aus Übersee gutes Geld bezahlt. Keine einzige Kupfermünze hast du davon gesehen, doch von der Kanzel predigt der feiste Pfarrer des Dorfes von Gerechtigkeit:

So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist – und Gott, was Gottes ist!

Nur wo lebt dieser Gott, fragst du dich.

Warum steht diesem rachsüchtigen Fremden Ehre in der Höhe zu, während du auf dieser staubigen Erde aus Hunger stehlen musst und von den Polizisten gejagt wirst wie ein räudiger Hund? Schaut er von oben auf dich herab, dieser Gott – etwa von den Satelliten, die moralische Appelle in alle Welt ausstrahlen, in kleinen, praktischen Häppchen, bereit zum Verzehr?

Aufbrausende Gestalten, die dir mit erhobenem Finger drohen und zur Ordnung mahnen. Man werde dich sonst einfach zurücklassen, sagen sie, wenn sein Königreich kommt und sein Zorn auf die Erde niederfährt.

Zurückgelassen werden – ein Gefühl, dass du bereits erlebt hast, viele tausend Male.

Sie sprechen vom Himmel, diese wohlfeilen Führer, doch wo ist dieser Himmel? Du weißt es bereits. Dieses Paradies verbirgt sich hinter den verschlossenen Toren. Deinesgleichen wird nicht hereingelassen, du bleibst ausgesperrt, ausgestoßen. Denn möchtest du rechtschaffen und redlich sein, so stelle dich in die Warteschlange, beuge das Knie und falte deine Hände.

Der Himmel mag vielleicht unerreichbar scheinen. Doch suchst du die Hölle, dann schaue dich um, schaue in dich hinein – und du wirst verstehen und zu sehen lernen.

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