Warum Rechtschreibung sexy macht
ein Aufruf gegen die Postfaktische Orthographie

Dieser Beitrag wurde von unserer Gastautorin Angelika verfasst.
Wir befinden uns gerade mitten im Postfaktischen Zeitalter, vulgo AnTRUMPozän genannt. Gefühlte Wahrheit, alternative Fakten – jetzt ist endlich auch die große Stunde der notorischen Rechtschreiballergiker und –verweigerer gekommen: „Das ist es! Können wir nicht auch nach Gefühl rechtschreiben? Alternative Rechtschreibung oder so? – Antwort: Nein. Schließlich wurden die „alternativen Fakten“ ja auch zum UNWORT des Jahres 2017 gekürt. Außerdem – für alle, die es noch nicht wissen sollten: Es gibt seit August 2017 einen neuen DUDEN.
Also nichts mit der „gefühlten Rechtschreibung“, der Rechtschreibung der Herzen?!
Na ja, mit dem Gefühl ist das so eine Sache. Früher konnte man sich bei Sprachzweifeln auf sein Sprachgefühl berufen, das man sich mühsam erarbeitet hat, indem man Bücher gelesen hat. Ein Buch – wir erinnern uns noch vage daran – das ist dieses sperrige analoge

Medium aus bedruckten Papierseiten, die man mit dem Zeigefinger mühevoll eigenhändig umblättern musste, um weiterlesen zu können. Mit Scrollen ging da nichts. Doch zurück zum Sprachgefühl.
Das Sprachgefühl ist leider auch nicht mehr das, was es einmal war. In Whatsapp-Nachrichten, Social Media und E-Mails wird kaum noch auf Rechtschreibung geachtet, von Groß- und Kleinschreibung ganz zu schweigen. Die deutsche Rechtschreibung hat dank dieser neuen digitalen Telekommunikationsmittel einen „Ist-mir-doch-komplett-wurscht-wie-man-das-schreibt-Beliebtheitsgrad“ erreicht, dass sich Martin Luther und Konrad Duden noch im Grab für alle Germanophonen fremdschämen müssen.
Doch auch die Rechtschreibform und ihre kläglichen Reformüberarbeitungsversuche in den Jahren 2004, 2006, 2014 und zuletzt 2017 sind an dieser Rechtschreibfaulheit und akuten Sprachverwirrung schuld. Ganz klar ein missglückter Rechtschreibverschönerungseingriff! Und wie’s mit einmal missglückten Schönheits-OPs nun mal so ist, machen auch nachträgliche Rechtschreibverschönerungs-eingriffskorrekturen das Endergebnis nicht unbedingt besser, sondern eher noch viel schlimmer. (Ich muss ganz offen gestehen: Einige dieser kosmetischen Rechtschreibreformverschönerungseingriffskorrekturen hab‘ ich glatt verschlafen. Vielleicht besser so, sonst hätt‘ ich eh wieder umlernen müssen …).

Für den verstorbenen Literatur-Papst Marcel Reich-Ranicki war diese Rechtschreibreform „unnnzzzweifelhaft eine Katastrrrophe.“ Und auch Deutschlehrer*innen raufen sich nicht selten die Haare und hadern mit dem DUDEN, zu dem sie nunmehr in einem gespaltenen Verhältnis stehen. Beziehungsstatus:
Es ist kompliziert!
Früher war in diesem Punkt alles besser. Früher lernte man die „alte“ Rechtschreibung einfach, mit all ihren Regeln und Ausnahmen. Punkt – Aus – Amen. Fehler war Fehler. Es funktionierte problemlos. Heute, im Zeitalter, in dem der DUDEN ohnehin alle zwei Jahre mit einem neuen, überarbeiteten Regelwerk aufwartet, wird nichts mehr einfach so hingenommen. Alles wird hinterfragt und diskutiert. Die Schreibung mancher Wörter steht jedoch nach wie vor nicht zur Debatte, liebe Freunde: „Beweiß“ mit „scharfem ß“, „wiederspiegeln“ mit langem „ie“ und „nähmlich“ mit „h“ waren schon vor der umstrittenen Rechtschreibreform falsch und sind es auch immer noch. Ein Klassiker der Falschschreibung ist das Adjektiv „rießig“, das richtigerweise mit einfachem „s“ geschrieben wird, weil es sich von „der Riese“ ableitet. Der Kommentar einer Schülerin dazu:
„Ich schreib’s aber trotzdem mit scharfem ß, weil’s schöner ausschaut!“ –
Erlaubt ist, was gefällt? Rechtschreibung nach Ästhetik? Oder gar kreative Rechtschreibung? Nein – bitte nicht! Schließlich ist Ästhetik ja auch nicht unbedingt jedermanns Sache. Auch noch so schlagkräftige Argumente wie etwa „riesig“ mit scharfem ß zu schreiben, weil der Buchstabe „ß“ ja schließlich größer ist als das kleine „s“, wirken hier nicht. Es ist einfach falsch. Und im Berufsleben später gibt’s leider kein Kreativitätsplus für postfaktische Rechtschreibung.

Zugegebenermaßen wirklich verwirrend ist die Groß- und Kleinschreibung von Pronomen je nach Kontext oder die Getrennt- und Zusammenschreibung von zusammengesetzten Verben. Das Aller-Aller-Ärgerlichste sind aber die vom DUDEN empfohlenen Schreibweisen und ihre alternative Schreibung. Da muss man sich dann für eine Schreibweise entscheiden und in einem Text auch konsequent dabei bleiben. Doch wer erinnert sich schon am Ende eines Textes, ob er 30 Seiten vorher „im Stande“ oder „aufgrund“ klein-, groß-, getrennt- oder zusammengeschrieben hat? Deshalb an dieser Stelle auch mal eine klare Ansage an die DUDEN-Redaktion:
Wenn ihr schon Regeln vorschreibt, dann macht es gefälligst konsequent und habt die Eier, euch endlich mal für eine Schreibweise zu entscheiden!
Dieses mimöschenhafte Sich-nicht-entscheiden-Können zwischen „bla … oder auch blaa / vom Duden empfohlene Rechtschreibung bla“ bringt einen noch zur Verzweiflung!

Apropos Verzweiflung: Es ist legitim und normal, Sprachzweifel zu haben, die haben sogar die besten Deutschlehrer*innen. Im Zweifelsfall muss man halt nachschlagen. Bedenklich ist nur, dass kaum jemand Sprachzweifel zu haben scheint und dann aus voller Überzeugung respektive simpler „Wurschtigkeit“ falsch schreibt. Falls überhaupt etwas konsultiert wird, dann ist das google. Auf google finden auch Rechtschreib-Legastheniker zu jeder nur erdenklichen Schreibvariante genug Treffer, die die eigene tendenzielle Schreibweise bestätigen.
Rechtschreibung nach dem demokratischen Mehrheitsprinzip?
Was die meisten so oder so schreiben, auch wenn es falsch ist, wird zur Regel? – Hoffentlich nicht. Sonst stünden „Diskusion“ mit einem „s“ (salonfähig in deutschen TV-Polit-Talksendungen, über 200.000 google-Treffer) und „zumindestens“ (Kofferwort aus „zumindest“ und „mindestens“, beliebt in Reality-Dokus, fast 1 Million google-Treffer) schon längst im DUDEN.
Das absolute Mörder- und Totschlagargument PRO Rechtschreibung hab ich mir für das Schluss-Plädoyer aufgehoben:
RECHTSCHREIBUNG MACHT SEXY!
Man stelle sich nur folgendes Horror-Szenario vor: Ein unglaublich toller Typ, charmant, gut aussehend, witzig und dann –

eine schriftliche Liebeserklärung, die vor Rechtschreibfehlern nur so strotzt! Da ist’s mit der Romantik aus, noch bevor’s überhaupt angefangen hat. Alarmstufe Rot! Das geht gar nicht! Es gibt nichts Unattraktiveres als eine schlechte Rechtschreibung!
Schlechte Rechtschreibung ist nachweislich eine der sichersten Verhütungsmethoden. Das hat langfristig betrachtet auch negative Auswirkungen auf die Bevölkerungsstatistik. Deshalb an dieser Stelle mein Appell an die Menschheit:
Bitte achtet etwas mehr auf die Rechtschreibung, sonst stirbt die Menschheit aus!