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Eine Liebeserklärung – Only Lovers Left Alive

Wochenthema Liebe - Was wir von Vampiren lernen können, oder: eine Liebeserklärung an einen Liebesfilm

(c) Kace Rodriguez

Wer will schon ewig leben? Alle Freunde, alle Menschen, die man liebt, sterben weg wie die Fliegen. „Life is very long, when you’re lonely“, wusste schon Morrissey. Die Zwei Protagonisten des 11. Films von Kultregisseur Jim Jarmusch, Adam und Eve,  sind Vampire und ein Liebespaar. Sie leben schon seit Jahrhunderten auf dieser Welt.

Die Handlung im Hintergrund

Adam ist ein Undergroundmusiker, der für Schubert komponierte, mit Lord Byron seine Zeit verbrachte und Eddie Cochran live gesehen hat.

Ian: „Wait, you actually saw Eddie Cochran play one of these?“

Adam: „Yeah… on Youtube.“

Ian: „Oh, right. Of course, man.“

Eve ist die belesene Muse, die mit dem „wahren Shakespeare“ Christopher Marlowe befreundet ist. Ob das ewige Leben Segen oder Fluch ist, lässt der Film offen. Ihre Liebesgeschichte spielt in den ruinenhaften Vororten von Detroit und im marokkanischen Tanger, dem einstigen Exilspielplatz der Beat-Generation. Zwei Pole – die heruntergekommende Gruselvilla unweit des Geburthauses von Jack White und ein schickes, orientalisches Apartement (alte Vampire haben anscheinend Geld) voller Bücher bilden in diesem Film eine Symbiose aus Pop- und Hochkultur. Only Lovers Left Alive ist eine Wunderkammer, ein Schrein für die Helden der Protagonisten und mutmaßlich Jarmuschs. Eine Handlung lässt der Film außen vor, und als in der Mitte des Films die junge, wilde Schwester von Eve auftritt, wirkt dies wie ein Geschehnis um eines Plots willen. Die Geschichte ist simpel, und irgendwie auch wieder nicht. Ein Blick auf ein Stück Faden des gesamten Wollknäuels des Jarmusch-Universums. Der durch die Zombies – so urteilt der Rocker über das Menschengeschlecht – zu Tode betrübte Adam (Tom Hiddleston) will seinem bohemistischen Vampir- und Musikerdasein durch eine von seinem menschlichen Laufburschen Ian (Anton Yelchin) besorgten Holzkugel ein Ende setzen. Rechtzeitig erkennt seine Langzeitgeliebte und dreifache Ehefrau Eve (Tilda Swinton), die derweil in Tanger umgeben vom alten Christopher Marlowe (John Hurt) residiert, per Facetime-Anruf, wie es um ihren Gatten steht und fliegt kurzerhand –  mit Nachtflug, versteht sich – nach Detroit.

Christopher Marlowe über Adam: „I should have met him before I wrote Hamlet“

Das Ende wird vermieden, das Paar ist wieder vereint und lebt gemeinsam den alten Lebensstil des dolce far niente im Dunkeln. Musik, Liebe, Runden drehen im alten Chevy, ein düsterer Soundtrack, ein Strudel der Melancholie, bis Ava (Mia Wasikowska), die heimtückische Schwester von Eve, plötztlich vor der Türe steht, den armen Ian in eine blutige Romanze hineinzieht und das Vampirpaar dazu nötigt, zurück nach Tanger zu gehen.

(c) Oliver Strecker

Vampire der alten Schule

Es ist bemerkenswert, dass ein Fantasiewesen über die Jahrhunderte bis in die heutige Zeit einem Bedeutungs- und Wesenswandel ausgesetzt ist. Schaut man auf Graf Dracula oder Varney, den Vampir, so galten die Blutsauger früher als kalte, hinterlistige, bösartige Wesen. Fime und Serien wie Twilight oder Vampire Diaries haben den Vampir schick gemacht. Aus einem dem Tageslicht schutzlos ausgelieferten, mörderischen Monster mit blutunterlaufenden Augen und langen Schneidezähnen wurde ein in der Sonne glitzernder Superheld, der auf die große Liebe wartet. Jarmuschs Vampire sind anders.

Doktor: „I’ve sort of been expecting you recently for some reason, uh, doctor… uh, Dr. Faust“

Adam: „It’s good to see you again, too, Dr. Watson.“

Adam und Eve sind irgendwo dazwischen hängengeblieben und doch viel mehr. Sie definieren sich, von Tom Hiddleston und Tilda Swinton, die früher selbst Schriftstellerin werden wollte, faszinierend verkörpert, durch ihre künstlerischen Neigungen, ihre Liebe und ihrem Vampirtrieb. In Jim Jarmuschs Welt können Vampire nicht ans Sonnenlicht. Unter den Outtakes des Films befindet sich sogar eine kleine Szene, in der Adam am Tag aufwacht und ein Sonnenstrahl durch einen der nicht richtig zugezogenen Vorhänge scheint und ihn an der Hand verbrennt.

(c) Patrick Tomasso

Wie in der Legende bekannt, sind sie übernatürlich schnell und übernatürlich begabt (selbst Graf Dracula lernte aus seinen Büchern einwandfreies Englisch, um sich sein London-Domizil zu kaufen). Eine der filmisch eindrucksvollsten Szenen zeigt die Vampire zu Beginn des Films unter sich rotierenden Kameras, wie sie ihr Blut aus kleinen Gläsern oder schön verzierten Flaschen trinken. Orgiastisch Sacken sie darauf zusammen und sind offensichtlich im Blutrausch. Actionreiche Szenen mit Kämpfen und Geschrei findet man in diesem Film nicht. Jarmuschs Vampire sind feingeistige Aristokraten, Künstler und Kunstliebhaber, die sich das ewige Leben möglichst bequem gestalten. Adam, Eve, Ava und Christopher Marlowe werden zwar idealisiert dargestellt, sind aber doch Vampire der alten Schule. Zum Töten sind sie zu bequem oder, wie Eve am Ende des Films bemerkt: „So fucking 15th century“. Lieber fährt er mit seinem alten Chevrolet in das Krankenhaus, um einen Arzt um ein Köfferchen voll „Null negativ“ zu bestechen. Das alles ist natürlich gepaart mit lakonischem Jarmusch-Schmäh und literarischen Anspielungen. Die Liebe zum dialogischen Detail ist es, die diesem Film Charme und Leben einhaucht. Manche Kritiker rügten Jarmusch dafür der Angeberei mit obskurem Wissen, in Wahrheit scheint es plausibel, dass die Protagonisten, die unter den Namen Stephen Dedalus und Daisy Buchanan reisen, über die Jahrhunderte einfach Tonnen an Absurditäten gesammelt haben, von Fliegenpilzen bis zu lateinischen Namen von harten Holzsorten.

(c) Kace Rodriguez

Bücherregale und Plattenspieler

Die Wunderkammer des Films ist von der ersten Sekunde an prall gefüllt mit Anspielungen aller Art. Das von Anfang an bestimmende Motiv ist der Kreis. Schon bei den Anfangscredits drehen sich die Sterne im Hintergrund, während in leuchtenden Buchstaben die Hauptprotagonisten (von denen im vergangenen Jahr zwei starben) in gotisch anmutender Schrift über den Bildschirm flackern. Der Sternenhimmel geht fast nahtlos in eine Schallplatte über, die auf einem Plattenspieler rotiert und eine verzerrte, düstere Version von Wanda Jacksons Funnel of Love wiedergibt. Der Soundtrack, der in Kooperation mit dem Lautenspieler Jozef van Wissem und Jarmuschs Band SQÜRL entstand ist sphärisch, düster, schleppend, genial. Selten gibt es Filme, die dermaßen stark von ihrem Soundtrack getragen werden. Manchmal scheint es, als seien die oftmals rotierenden Bilder nur eine Reflexion der Musik. Sanfte, übereinanderliegende Schnitte ergeben mit quietschenden E-Gitarren, gezupften Lauten, einem Schlagzeug wie ein Tänzer in Ritterrüstung und einem dröhnenden Bass zu einem so tiefen Bild, dass man für die Dauer des Filmes tatsächlich zu versinken scheint. Jede Platte, jedes Porträt, jedes Buch, das in der Wohnung von Adam steht, scheint einen Sinn zu haben. An der Wand hängen Malereien und Fotos von E. A. Poe, Christopher Marlowe, oder Isaac Newton. Als Eve ihren Bücherkoffer packt gehen die Werke von Shakespeare mit auf Reisen. Eine Ausgabe von Infinite Jest lugt aus dem Stapel hervor. Beim Schachspiel wird über die Mary Shelley diskutiert, zum Einschlafen das Genie Nikola Tesla bewundert und beweint. Jim Jarmusch zelebriert die Subkultur der gefeierten Aussätzigen und fast glaubt man, dass sie mit dem Millenium gestorben ist, doch Jarmusch beweist das Gegenteil. Er nimmt die Zuseher mit auf Konzerte. In einem heruntergekommenen Schuppen hören die Vampire die New Yorker Band White Hills, im fernen Tanger stolpert Adem in ein Konzert der libyschen Sängerin Yasmine Hamdan (die schon im Treibhaus gastierte). Only Lovers Left Alive vermittelt eine negative Weltsicht mit Hoffnungsschimmern. Ein schwarzer Nachthimmel mit vereinzelt hell leuchtenden Sternen.

Eve: „What was Mary Wolstonecraft like? Come on, tell me. What was she like?“

Adam: „She was delicious.“

(c) Seth Doyle

Ewige Liebe

Eine der Fragen, die Film aufwirft, lautet: Ist Liebe ewig? Wir sprechen schon fast von ewiger Liebe, wenn wir – drastisch gesagt – für Jahre zusammenleben und -lieben. Adam und Eve sind schon ewig zusammen. Ihre Namen sind nur einer der vielen lakonischen Witze, die nicht unmittelbar auf der Hand liegen, sondern oft auf dem Nachttischkästchen, auf dem ein Bild der dritten Hochzeit zu sehen ist oder auf der weißen Rückseite einer Gitarre, in der Adam die Mutter der Klobrille vermutet. Zu Beginn leben sie getrennt voneinander. Zwei Pole – wie gesagt – in ihren jeweiligen intellektuellen Zentren. Als Adam Hilfe braucht, kommt Eve. Sobald sie sich sehen, flammt ihre Liebe von neuem auf. Doch irgendetwas scheint an ihrer Liebe anders zu sein. Natürlich wird in Jarmusch-Manier viel über absurde Wissensgebiete geredet, sie schlafen nackt nebeneinander im Himmelbett, doch geküsst wird nie. Handschuh und Händebeschnüffeln, Umarmen, lange Fahrten durch die Großstadtruinen, ihr Kopf ruht auf seinem Schoß, aber kein Kuss. Möglicherweise ist ihre Beziehung von Verliebtheit über Liebe zur Gewohnheit in ein den Menschen unbekanntes, vom Autor selbst erdachtes Stadium übergegangen. Der junge, sexuelle Verliebtheitstrieb tritt in Form der kleinen Schwester von Eve auf. Ava fährt wie ein Wirbelsturm in das Haus des Vampirpaars um den Blutvorrat zu plündern und den Menschen Ian – wie sich später herausstellt, nicht nur zu verführen, sondern auch zu trinken.

Adam: „You drank Ian!?“

Eve: „Adam…“

Ava: „Sorry!“

 

Die wilde Ava wird für ihr Verhalten rausgeschmissen und die Vampire müssen gehen. Adam und Eve reisen kurzerhand nach Tanger. Dort ist alles schlecht.

(c) Kees Kortmulder

Zombies und Langeweile töten

In Tanger erreicht die Stimmung ihren Tiefpunkt. Die Vampire erreichen ausgebrannt und halb verdurstet ihr Ziel und erfahren, dass Christopher Marlowe im sterben liebt. Ja, Vampire können sterben. Und mit der Diagnose gelingt Jarmusch ein weiterer , bitterer Witz auf die Zombies, wie Adam und Menschen nennt. Marlowe laboriert an einer Blutvergiftung. Verzweifelt und wütend stellt Adam fest, dass es die Zombies geschafft haben, nach dem Wasser auch noch ihr Blut zu vergiften. Mit dem Menschengeschlecht geht das (man kann sich getrost so weit aus dem Fenster lehnen) alter ego Jarmuschs hart ins Gericht. Sie zerstören alles, vergiften den Planeten. Selbst Detoit, wie er in einer der Zusatzszenen erklärt, fände er nur schön, weil die Stadt binnen eines Jahrhunderts wie eine Blume aus dem Nichts erblühte und wieder verdorrte. Aber Eve weiß es besser. Detroit wird, wenn der Kampf um das Wasser beginnt, wieder aufblühen, denn das gebe es hier im Boden. Adam und Eves Kampf ist keiner gegen die stumpfen Menschen unserer Zeit. Die Vampire kämpfen gegen oder besser gesagt mit der Zeit. Die Langeweile siegt schließlich. Eine Langeweile, gegen die schließlich kein Musikstück, kein Buch, kein Geld, ja nicht einmal die Liebe etwas ausrichten kann. In der letzten Szene des Films sitzen sie zu zweit verdurstend auf einer Bank. Sie sind Gefangene des Planeten. Wie es in einem Song von Radiohead heißt, „I’m not living / I’m just killing time“, so ist es mit dem Leben der zur Ewigkeit verdammten. Als ein sich unbeobachtet fühlendes, küssendes junges Paar vor ihnen verzehrt, entschließen sie, die beiden zu töten.

Eve:“Is that what we’re thinking? Adam, really. So fucking 15th century. They are deliciously beautiful, though, aren’t they?“

Adam: „What choice do we have, really? We’re just gonna turn them, though, right?“

Eve: „How romantic of you.“

Adam: „I get the girl, though.“

Sie opfern die Jungen Mensche für ihre langweilige Ewigkeit. Das Ende ist der letzte Streich des Kultregisseurs. Das schöne, nokturne Leben des Vampirpaars als erhabene Halbgötter ist kein Segen – es beherbergt in seinem unbarmherzigen Kreis der Geschichte den fatalen Fluch der Langeweile.

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