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10 Jahre Wiesenrock – Teil 1: Auf dem Naschmarkt der Fäkalien

Der erste Tag des Wiesenrock Festivals ist verregnet, durchwachsen und beeindruckend.

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Das Wiesenrock Festival in Wattens legt trotz grauenhaften Wetters einen beeindruckenden Start hin. Eine Reise von mediokrem Leistunsgesellschaftskapitalismusnationalismuskritikdeutschrap bis zu drei Gschichtn ausn Cafe Fesch.

„Wie stehst du zu Koriander?“, fragte eine Frau mit oberösterreichischem Akzent ihre Begleitung vor einem Hipster-Foodtruck, dessen Besitzer versucht haben, die Burger-Monokultur auf dem Platz vor dem Festival-Gelände mit einem Pulled-Pork-Baguette zumindest optisch zu durchbrechen. Vor den Ständen des Vorplatzes der Wattener Schule duftete es aus den Grillern, auf denen Rindfleisch und vegane Kichererbsen-Soja-Wasweißich gewendet wurden wie sonst was.

Auf dem Konzert von Voodoo Jürgens, dem Edelsandler aus Tulln, dampfte hingegen die Speibe neben dem Billa-Sackerl.

Voodoo und seine Band, die er allesamt als Charlie vorstellte (wobei der Quetschn-Charlie anscheinend wirklich so hieß), entführten die Zuhörer auf einen Naschmarkt der Fäkalien und oagen G’schichten. Der gute Voodoo trieb seine Gossen-Poeme mit lakonischer musikalischer Begleitung an die Spitze. „Wer schöne Absichten in schönen Dingen entdeckt, ist kultiviert. Für ihn besteht Hoffnung“, schrieb einst Oscar Wilde über die Künstler. Voodoo Jürgens besingt die hässlichen Absichten im Hässlichen, ist dabei aber trotzdem kultiviert, nun, kultiviert mit brauner Bierflasche in der Hand und Schlaz in der Goschn. Und die Hoffnung, die wäre fast verloren, wenn es der Voodoo nicht mit „Schmäh“ nehmen würde. Selten beobachtete der Rezensent ein so aufmerksames Publikum. Die Geschichten und Sagen des Herrn Jürgens rüttelten auf, sorgten für Lacher oder betretene Blicke, Geschunkel und Geschmuse. Das frischverliebte Paar (mit einem nicht minderen Altersunterschied), das sich vor dem Rezensenten vernaschte, hielt in seiner feucht-fröhlichen Liebesbekundigung kurz inne, als der Voodoo brüllend sang:

„Fang da nix an mit dem oiden Mann!“

Ekstase kam während des Konzerts nicht auf, trotzdem war die Performance der Problembär-Legionäre auf schöne Weise dramaturgisch, fesselnd, abstoßend und berührend. In der vorletzten Nummer stand Voodoo Jürgens wie ein plötzlich erwachsen gewordener Huckleberry Finn mit Pickerl-beklebter Gitarre auf der Bühne und sang vom Bub-Sein, vom Bäume-Klettern und vom Herumtollen im Gras. Voodoo wühlt in seinen Liedern im Dreck und bringt Perlen hervor.

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Die Bühne warmgespielt hat das Tiroler Trio Mother’s Cake. Eine bis zum Anschlag aufgedrehte E-Gitarre, ein die Nebenhöhlen sauber blasender Bass und ein Schlagzeug, das das Ganze zusammenflickte, ließen die Trommelfelle flattern. Bis auf die Die-Hard-Fancorner vorne links konnten die Oberländer die Meute nicht richtig motivieren. Vielleicht lag es am Schuhschachtelrock von Mother’s Cake, den man am besten in einem möglichst kleinen, verrauchten Raum abkriegen sollte, oder schlichtweg am Regen. Dennoch machte das Konzert Spaß, und denjenigen, dessen Kopf nicht leicht mitwippte, gab es nicht.

Kapitalismuskritik, ein Lied gegen den Strache oder ähnliche Kandidaten, ein Song über ein Mädel, das an der Leistungsgesellschaft zerbricht und Rhymes, yoyoyo. Diese Attribute treffen wohl auf jede zweite Deutsch-Hip-Hop-What-so-ever-Band zu. Genauso beliebig war das Konzert von Scheibsta & die Buben aus dem Salzburgerland. Ein Lead-Sänger, der sein eigenes Band-Merch trägt, ein Gitarrist, der seine Telecaster meist mit den vier gleichen Akkorden penetrierte, und eine Trompete. Alles in allem nicht schlecht, aber so was von mittelmäßig. Die Band Vormärz musste beginnen, als die meisten noch überlegten, ob sie zu Mother’s Cake oder doch erst zu Voodoo Jürgens kommen sollten. Selbst bei strömendem Regen wurde die Sonnenbrille des Vormärz-Frontmans nicht abgenommen. Cool bleiben, heißt es immer.

Glossar (halbernst)

Sandler: Obdachloser

Quetschn: Akkordeon

Goschn: Mund/Gesicht

oag: arg

der oide Mann: der alte Mann

Schmäh: Scherz

Speibe: Erbrochenes

Schlaz: Schleim

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