„Ich habe immer nachts gejoggt, damit mich keiner sieht“
Ein Gespräch mit Patrick Salmen
Poetry Slammer und Autor Patrick Salmen hat in der Bäckerei in Innsbruck gelesen. Wir haben den literarischen Tausendsassa getroffen und mit ihm über das absurde und beglückende Schriftstellerleben gesprochen. Ein Gespräch über Kloschilder, Katzenkommissare und die Angst, beim Joggen erwischt zu werden.
Im kargen Backstage-Bereich der Bäckerei in Innsbruck gibt es eine Couch, einen Sitzsack und eine Schaukel. Patrick Salmen, seine Schildkappe und den rostrotkupferbraunbronzenen Bart wie ein Markenzeichen tragend, nimmt auf dem Sofa Platz, tauscht eine Schüssel vergessenen Salats durch ein Glas Wasser und stellt sich unseren Fragen.
Gratuliere, dass du die gesamte Hipster Szene von Innsbruck an einem Abend vereint hast. Wie kannst du es dir erklären, dass Menschen, über die du dich in deinen Texten lustig machst, zu deinen Lesungen kommen?
Ich glaube, weil man am liebsten über sich selber lacht. Ich finde, das ist auch immer die schönste Form von Humor – wenn man sich selbst darin wiedererkennt, sich ein bisschen darin spiegelt und sich an manchen Stellen ertappt fühlt. Zum Beispiel die Geschichte vom Pärchenabend. Das sind Szenen, die man selber kennt. Man spielt das Spiel immer mit, weil es einfach dazugehört und es ist nicht immer nur schlecht. Es gibt auch viele schöne Facetten. Das ist mir wichtig, weil ich jemand bin, der viel über sich selbst lacht. Ich mache nicht gerne Witze über Menschen, die eine große Angriffsfläche bieten oder irgendwelche Minderheiten, sondern lieber über Dinge aus dem Alltag, aus meinem Umfeld oder Probleme, die einen auch selber beschäftigen. Dadurch ergibt sich diese Zielgruppe.
Du hast auf Facebook über 40000 Follower, deine Youtube-Videos werden millionenfach angeklickt. Bedeutet Schriftsteller zu sein heute, dass man auch in den sozialen Netzwerken präsent ist?
Nicht unbedingt. Ich gehöre zur etwas neueren Generation von Autoren, die aus der Poetry Slam Ecke kommt. Die jungen Menschen erreicht man natürlich über Facebook. Es gibt aber auch weiterhin viele Leute, die zu meinen Lesungen kommen, die gar nicht mitkriegen, was ich auf Facebook mache. Es gibt so viele erfolgreiche Autoren, die überhaupt keine Social-Media-Präsenz haben und trotzdem unfassbar viele Bücher verkaufen. Es ist kein richtiger Indikator dafür. Obwohl ich Facebook selten privat nutze und nicht auf Twitter bin, macht es mir Spaß, beruflich Facebook zu nutzen und zwischendurch ein paar lustige Anekdoten oder auch Tour Termine und sonstige Sachen zu teilen. Ich finde es schön mit den Leuten, die meine Bücher lesen, in Kontakt zu sein. Ich bekomme oft Nachrichten und Feedback zu den Büchern. Das lese ich wirklich gerne und ich freue mich darüber. Ich bin dankbar, dass es so etwas gibt, weil es viele Vorteile hat. Über Facebook und Youtube werden auch Videos geteilt. Wenn man es gut anstellt und mit seiner Social-Media-Präsenz achtsam umgeht, kann es einem viel weiterhelfen, was Bekanntheit und Werbung angeht.
Du schreibst gerade an deinem Debut Roman. Wann bekommt man diesen zu lesen und worum geht es?
Worum es dabei gehen wird kann ich noch nicht verraten. Ich weiß es natürlich schon, aber ich möchte es noch nicht öffentlich machen. Eigentlich ist das mittlerweile ein Running-Gag, weil ich den schon vor drei Jahren fertig haben wollte. Es kommen aber immer Sachen wie Live-Programme oder kleinere Projekte, auf die ich Bock habe, dazwischen. Jetzt kommt erst einmal ein Lyrik-Band (zwei weitere Winter), ein Kinderbuch (Der gelbe Kranich) und dann hoffentlich der Roman. Ich denke im Sommer 2018 wird es so weit sein. Es soll ein etwas größerer Schinken werden, eine Geschichte, die mir schon lange innewohnt, an der ich die ganze Zeit feile. Ich habe sie schon tausendmal wieder gelöscht und von vorne angefangen. Da bin ich ein noch größerer Perfektionist als bei den Live-Sachen oder Kurzgeschichten, die literarisch nicht so anspruchsvoll sind, sondern eher unterhaltend. Es ist schwierig, wenn man so viel tourt wie ich, dann hat man nie wirklich Zeit, an einem Stück lange daran zu arbeiten. Da muss man sich für fünf Monate nur zum Schreiben hinsetzen. Das habe ich mir für nächsten Sommer vorgenommen und dann hoffe ich, dass ich endlich zum Schluss komme.
Du bist auch oft in Österreich unterwegs. Wird dein Humor ganz klischeehaft in Österreich anders aufgenommen als in Deutschland?
Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Ich glaube, dass der Ruhrpott-Humor und der österreichische Humor sich recht ähnlich sind. Es gibt ja auch keinen deutschen Humor. Ich erlebe als Westdeutscher, dass mein Humor in anderen Ecken von Deutschland nicht dieselbe Resonanz hat wie wo anders. Letztlich sind das Vorurteile. Jede Region hat einen gewissen Einschlag, aber im Grunde sind es junge Leute, die zu meinen Veranstaltungen kommen und die können, egal, woher sie kommen, über dasselbe lachen. Man sagt, dass die Leute in Norddeutschland und bei uns im Ruhrgebiet einen etwas schwärzeren, misanthropischen Humor haben. Vielleicht liegt mein Humor deshalb auch den Österreichern. Das sagt man zum Beispiel über die Wiener, aber ich stelle keine großen Unterschiede fest. Ich habe noch nie einen Abend erlebt, an dem keiner gelacht hat und alle da saßen wie „Was will der Mann von uns?“. Da habe ich immer Glück gehabt.
Warst du am Beginn deiner Schriftstellerkarriere oft mit dem Vorwurf des brotlosen Jobs konfrontiert?
Eigentlich nie. Es war bei mir nie so, dass ich gesagt habe: „Ich werde jetzt Schriftsteller.“ Ich habe damals studiert und wollte Lehrer werden. Irgendwie bin ich da reingerutscht und wurde öfter für Veranstaltungen gebucht. Auf einmal konnte ich davon Leben und habe dann noch meinen Nebenjob gekündigt. Dann habe ich noch mehr gemacht und das Studium ausgesetzt, damit ich noch mehr machen kann. Dann war ich schon drin, und konnte von Anfang an gut davon leben, sodass sich nie ergeben hat, dass irgendjemand große Klischees verbreitet hat. Es ist aber auch ein Unterschied, ob man viel live macht oder schreibt. Ich finanziere mich zu 80% über das Live Geschäft. Es gibt wenige Autoren, die nur vom Schreiben leben können. Da gibt es in Deutschland vielleicht 100, die sich nur durch das Schreiben eine Existenz aufbauen können. Wenn man Glück hat, viel live zu machen und viele Leute dafür begeistern zu können, fällt es einem leichter. Deshalb hat das von Anfang an relativ sicher funktioniert.
Du schreibst oft über die Absurditäten des Alltags, über Senseo-Maschinen und Jochen Schweitzer Erlebnisboxen. Passiert es dir, dass du manchmal mit einer Nanu-Nana-Tüte oder in einem Butlers-Laden erwischt wirst?
Man muss schon aufpassen. Ich habe mich heute zum Beispiel in einer Geschichte über Jogger lustig gemacht. Jetzt habe ich vor einem halben Jahr aber selber angefangen zu joggen. Da hatte ich immer Angst, dass ich erwischt werde und dass die Leute sagen „Hey, du bist voll unglaubwürdig!“ Du machst dich über sie lustig und tust es dann selber. Ich habe dann immer nachts gejoggt, damit mich keiner sieht. Aber die Leute wissen ja, dass das alles Sachen sind, die man an sich selbst festgestellt hat. Jeder Humorist lebt schließlich davon, was im Alltag, an sich selbst oder an seinem Umfeld Angriffsfläche hat. Wenn man alles ausgrenzt, was man in seinen Geschichten kompensiert, müsste man irgendwann sehr traurig und einsam sein. Wobei… in eine Nanu-Nana-Filiale würde ich trotzdem nicht gehen – aber nur weil es da drin zu eng ist.
Und wegen der Schilder mit Sprüchen drauf?
Ja stimmt, das ist wirklich eine Seuche. Diese Home-Schilder vor allem. In allen Wohnungen hängen Home-Schilder. Wissen die nicht, wo ihr zuhause ist? Oder lustige Fußmatten… Irgendwann haben Menschen witzige Kaffeetassen mit witzigen Sprüchen drauf. Irgendwann bekommt man so einen komischen Humor, einen Büro-Humor. Ich kann mir nicht erklären, was das ist, aber dann lacht man über Blechschilder und hat witzige Klosprüche überm Klo hängen. Why not?
Wenn du eine Sache in deinem Leben ändern könntest, was wäre das?
Ich glaube, ich hätte mehr reisen sollen. Mich ein bisschen mehr trauen und das Berufliche hinter mir lassen. Ich bin vor einem halben Jahr Vater geworden und jetzt habe ich keine Zeit mehr, allzu viel zu machen. Irgendwann schon wieder. Ich bin noch nicht viel rumgekommen. Bei den Touren sieht man auch nicht viel von den Städten. Du kommst meistens an, fährst zur Location und am nächsten Tag fährst du wieder woandershin. Zeit für Sightseeing bleib dann auch nicht mehr. Ich nehme mir zwar vor, dass ich früher anreise und noch ein bisschen spazieren gehe und ein wenig frische Luft schnappe, aber das klappt auch nicht immer.
(überlegt eine Weile) Ich hätte nicht mit dem Malen anfangen sollen. Ganz früher habe ich gemalt. Schrecklich war das. Ich habe mich selber für einen großartigen Künstler gehalten und zutiefst traurige, abstrakte Bilder mit Acryl und Ölfarbe gemalt. In Richtung morbider Expressionismus. Es war schrecklich im Nachhinein. Ich selber dachte, ich wäre ein Genius und alle Freunde dachten: ne.
Wie findet also ein selbsterklärter Misanthrop zum Glück?
Mich machen meine Freunde glücklich, Gespräche, Gerüche… Mich macht genau dasselbe glücklich, was jeden anderen Menschen auch glücklich macht. Natürlich wohnt einem dieses misanthropische inne, wenn man sich öfter über Menschen aufregt und ein bisschen desillusioniert ist, was den Glauben an das Gute im Menschen betrifft. Es wird ja auch immer schlimmer wenn man sich die Welt ansieht. Zum Beispiel die politischen Zustände: Da denkt man manchmal wirklich, das kann doch nicht euer ernst sein, dass jemand wie Trump plötzlich an der Macht ist. Wie wir diesen neuen Rechtsruck erleben. Und du denkst dir, wir leben im Jahr 2017 und es ist alles hundert Jahre in der Vergangenheit. Da verlierst du schon öfter den Glauben aber letztendlich hast du immer dein Umfeld um dich, deine Freunde und Menschen, die dir ein gutes Gefühl geben, dass du dich immer gut aufgehoben fühlst. Deswegen geht man auch nie an der Welt zugrunde. Weil man immer seine schönen Momente hat. Ich habe das Glück, mich auch beruflich verwirklichen zu können und dabei viele schöne Momente erleben zu dürfen auf der Basis von gemeinsamem Humor. Es befriedigt mich auch unfassbar, wenn ich merke, dass Menschen meinen Humor teilen. Wenn ich gemeinsam mit anderen Menschen über Dinge lachen kann. Es ist wirklich ein großartiges Gefühl. Deshalb bin ich nie richtig desillusioniert. Und man sagt, dass Misanthropen in Wahrheit nur enttäuschte Philanthropen sind. Vielleicht bin ich auch ein Philanthrop.
Hat es Momente gegeben, an denen das Programm einfach nicht gezündet hat? An denen man etwas verloren auf der Bühne gestanden ist?
Das gab es auch schon. Manchmal wird man auf Firmenfeiern gebucht. Das sind gut bezahlte Auftritte, aber da sind dann Leute, die schon zwanzig Bier getrunken haben, die eigentlich nur in Ruhe quatschen und saufen wollen. Die werden dann quasi gezwungen, deine Geschichten anzuhören und eigentlich interessiert es keinen. Alle gucken weg und ignorieren dich. Früher hatte ich Probleme, weil ich sonst eher in jüngeren Läden, Clubs oder Jugendzentren gelesen hatte, und für Kabaretts gebucht wurde. Diese klassischen Polit-Kabarett-Läden, wo eher Ü60-Publikum anzutreffen ist – die konnten mit meinen Themen nicht viel anfangen. Dann war da manchmal ein bisschen beklemmtes Schweigen. Mittlerweile mache ich das auch gerne. Es hat sich ergänzt, das Publikum ist jetzt sehr gemischt. Immer noch sind 70% junge Leute, aber auch ein paar ältere, die einen Zugang dazu gefunden haben.
Glaubst du, dass du dich irgendwann ins gutbürgerliche Leben einfügst und ein wenig bieder wirst?
Was jetzt meinen Humor ausmacht, kriegt man, glaube ich, nicht weg. Jeder Mensch wird irgendwann spießig. Selbst der größte Punk hat irgendwann einen Thermomix zuhause. Irgendwie ist es auch okay und solange man selber darüber lachen kann, wird man sich seinen Grundzynismus auch immer bewahren können. Daher mache ich mir keine Sorgen, dass ich irgendwann verweichlichte Wohlstandsbürgerliteratur schreibe über Katzenkommissare oder so. Aber wer weiß, ein Katzenkommissar wäre echt geil.