unerlebtunglaublich

Vom Suchen und Finden

oder Warum die Generation Y nicht immer einen genauen Plan vom Leben haben muss

Sinnsuche, Beruf, Job, Studium, erwachsen werden(c) Faustin Tuyambaze

Sie marschieren ein.  

Unter Saxophon-Klängen folgen sie im Gänsemarsch den dreien, die sie durch diesen Schlussakt begleiten werden. Die meisten starren geradeaus, andere werfen verstohlene Blicke auf die Anwesenden – oder ihre Schuhe, sofern stöckelbewehrt und auf dem blank geputzten Boden rutschgefährdet. Dann betreten die Absolventinnen und Absolventen der Universität das Podium. In den meisten Blicken liegt Stolz, versteckt dazwischen bei manchen etwas Nervosität. Ähnliches spiegelt sich auch in den Gesichtern rund um meinen Sitzplatz herum: Eltern, Geschwister, Verwandte und Freunde recken gespannt die Hälse und versuchen, freie Sichtbahn auf ihre Schützlinge zu erlangen, Smartphones gezückt und bereit zum Fotografieren.

Es liegt noch gar nicht so lange zurück, da stand ich ebenfalls auf diesem Podium, schaute neugierig ins Publikum, wusste nicht recht, was ich mit meinen Händen machen sollte. Erst in diesem Augenblick wurde mir so richtig bewusst, dass meine Studienzeit zu Ende war. Bis dahin hatte ich keine Zeit dazu,

alles war plötzlich so schnell gegangen: Arbeit einreichen, Defensio – und dann Sponsion.

Abschluss, Beruf, Zukunft, Angst, Suche
(c) Noah Hinton

Damals lachten mir die Gesichter aus dem Publikum entgegen. Ich lachte zurück – und fragte mich, ob sich das für die anderen Absolventen auch gerade so anfühlte. Eine seltsame Mischung aus Zufriedenheit, endlich etwas geschafft zu haben und trotzdem ein leicht flaues Gefühl vor dem, wie es wohl weitergehen würde. Es war, als stünde ich vor einer gigantischen Kreuzung. Ich könnte in jede Richtung fahren – heutzutage ist man theoretisch an keinen Ort und an kein Berufsbild mehr gebunden, viele Wege stehen einem offen. Aber genau das macht es doch schwierig, vor allem wenn das innere Navi streikt und keine Richtung vorschlagen will. Ich stand da auf dem Podium, kaute auf meiner Lippe herum und dachte daran, was ich den Leuten wohl sagen könnte, die mich jetzt nach meinem offiziellen Abschluss garantiert fragen würden, was ich denn nun vorhätte.

Irrtümlicherweise verbinden viele den Abschluss einer Ausbildung automatisch mit der Grundsteinlegung eines Zukunftsplans. Wie erstaunt sind oft die Gesichter, wenn auf die Frage, was man denn jetzt anstellen wolle, nur ein lapidares

„Weiß noch nicht“

folgt.

„Ach, weißt du noch nicht?!“, echot es dann zurück, als ob der abgeschlossene Titel diese Antwort illegitim machen würde.

Zukunft, Beruf, Angst, Bewerbungen, Suchen, Finden, Erwachsen werden
(c) Guow

Aber die Entscheidung fällt nun mal nicht so einfach, zumal einem das Berufsleben und die damit verbundenen Aussichten oft nicht gerade schmackhaft gemacht werden – zumindest bei gewissen Studienrichtungen. An meinem ersten Tag an der Uni wurde uns schon erzählt, die Stellen seien dünn gesät, man müsse konkurrenzfähig sein, am besten gleich verschiedene Standbeine haben, sprich mehrere Studienrichtungen. Wie unheimlich schwierig das nach der Bologna-Reform mit der Verschulung der Universitäten geworden ist, davon sagte keiner ein Wort – aber das ist eine andere Geschichte und ändert nichts an der Tatsache.

Es stimmt: Ein Studientitel ist keine Garantie mehr für einen gesicherten Job oder ein Einkommen, noch dazu in dem Bereich, in dem man ausgebildet ist.

Zukunft, Beruf, Angst, Suche, Finden
(c) Romain Vignes

Die Anforderungen sind oft hoch und die freien Stellen bisweilen dürftig. Heute ist man bei seinem Abschluss bzw. bei seiner ersten Bewerbung am besten möglichst jung, möglichst talentiert und hat idealerweise schon Berufserfahrung sowie ein beeindruckendes Portfolio an Zusatzqualifikationen und Freizeitaktivitäten – man will ja schließlich keinen Fachidioten, dem die soziale Kompetenz bei etwaiger Streberei abhanden gekommen sein könnte und der nur für einen einzigen Bereich im Betrieb tauglich ist. Dieser Eindruck drängt sich zumindest bei gewissen Jobausschreibungen auf.

Andererseits sind diese ja bekanntlich immer etwas überspitzt und noch kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Selbst wenn man nicht ganz aufs Profil passt, vielleicht passt ja ein anderer noch etwas schlechter drauf als man selbst – denkt man sich so. Nur kaum hat man sich damit beruhigt, kommt da schon der nächste, der dir erklärt, dass selbst, wenn du den Job kriegen solltest, alles schlichtweg „kacke“ ist momentan – arbeiten bis siebzig, keine Pension, Leben wird auch teurer und Familie neben einer Karriere schon fast unmöglich – und früher war alles besser.

Na, das macht doch Mut, oder?

Familienplanung, Karriereplanung, erwachsen werden, Beruf, Job, Angst
(c) Noah Hinton

 

Gleichzeitig wird aber trotzdem erwartet, dass man tatendurstig noch vor Ende des Studiums möglichst schnell den richtigen Job findet, mit 30 Jahren eine Familie gründet, irgendwo ein Haus baut, in die Pensionskasse einzahlt und Kind samt Kegel mit Karriere unter einen Hut bringt.

 

Also nein: Einfach gestaltet sich die Zukunftsplanung heute tatsächlich nicht, mögen einem auch viele Wege offen stehen.

Ein „Weiß noch nicht“ als Antwort ist daher nicht verwunderlich und durchaus legitim. Möglicherweise sind wir ja die Generation, die auch noch nicht alles so genau wissen muss, nicht wissen kann. Arbeitsmarkt und Familienleben sind im Wandel begriffen. Dennoch versuchen wir ständig, in ein vorgefertigtes System zu passen oder werden in ein solches hineingedrängt – ein System, das nicht mehr zeitgemäß ist: Wir sollen flexibel sein und trotzdem unter den wenigen Stellen eine finden, die unserer Ausbildung gerecht wird; wir sollen Familien gründen, aber trotzdem Karriere machen; wir sollen alles zur Zufriedenheit aller schaukeln und dabei trotzdem glücklich sein. Das erzeugt Angst und Druck.

Druck von außen und dann auch Druck von innen, während wir versuchen die Erwartungshaltung der Gesellschaft und unsere eigene irgendwie in Einklang zu bringen und beiden gerecht zu werden. Und während wir ganz damit beschäftigt sind, es allen Recht zu machen, übersehen wir, was wir selbst alles leisten könnten, was wir in die Hand nehmen könnten. Wir gestalten schließlich unsere Zukunft mit, haben die Chance, andere Wege zu gehen, anstatt der ausgetretenen Pfade, die sich womöglich irgendwann als Sackgasse entpuppen werden. Diese Chance sollten wir nutzen und uns nicht demoralisieren lassen, auch wenn vielleicht nicht immer gleich klar ist, wohin der Weg führen wird und manches früher anders war. Auf meinem Weg bin ich heute bereits ein Stückchen weiter als damals noch bei meiner Sponsion – es gibt immer Türen, die sich öffnen lassen, aufmachen muss man sie allerdings selbst.

Das gilt auch für die Absolventinnen und Absolventen, die nun vor mir auf dem Podium in die Runde strahlen. Sie sind eben vom Dekan entlassen worden. Ich stecke das Stück Papier, dass ich während der Ansprachen gedankenverloren in meiner Manteltasche zerknüllt habe, in die Tasche und hole stattdessen die Sektflasche hervor, winke meinen Kollegen zu, die nun grinsend mit dem Diplom unter dem Arm aus dem Raum marschieren. Jetzt wird erstmal gefeiert, zu viel grübeln ist ohnehin ungesund. Gaudeamus igitur, juvenestus sumus.

 

Leave a Response