unveröffentlicht

Der Grund

Eifersucht, Liebe, Schönheit, Rache(c) Benjamin Balazs

Man hörte das Zwitschern der Vögel und das Tropfen von Blut auf den gefliesten Boden, das über die frisch geschliffene Axt perlte wie Wasser über eine Lotusblüte. Sie hielt die Axt fest umklammert. Ein dünnes Rinnsal rann über den Stiel und benetzte die Haut zwischen ihrem Daumen und Zeigefinger. Sie zitterte mit geschlossenen Augen. Es kam ihr so vor, als würde die Axt selbst bluten. Der Gegenstand in ihren Händen war kurz zuvor auf den Körper zu ihren Füßen niedergesaust. Einmal, zweimal, dreimal. Das Keuchen hatte sofort aufgehört. Die Frau am Boden hatte nicht mit ihr gerechnet. Es war schon dunkel und das Büro abgeschlossen gewesen. Die Frau, die jetzt blutüberströmt am Boden lag, hatte an ihrem Schreibtisch gesessen und getippt. Rechnungen, Emails, Briefe. Das Radio war eingeschaltet gewesen und hatte ihr gesagt, dass es schon halb neun war.

Eifersucht, Liebe, Schönheit, Rache, Tod
(c) Simon Hattinga Verschure

Hendrik würde sich gedulden müssen. Sein restliches Leben lang. Hendrik, der sie, die jetzt erschlagen auf dem Boden lag, in diese Position gebracht hatte, Hendrik, den sie hatte erobern müssen und Hendrik, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte.

Das ganze Büro war eifersüchtig. Er war vorher lange mit einer anderen zusammen gewesen, auch aus diesem Büro, allerdings aus einer anderen Abteilung. Aber es passte nicht mehr. Hendrik hatte es gespürt und auch die, die ihn kannten, wussten es. Sie war noch neu gewesen und hatte es nicht gewusst. Zumindest am Anfang noch nicht. Es war aber nicht gut gelaufen hatte er ihr erzählt. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn und einen roten Kopf, als er ihr alles gestand, was zwischen ihm und der anderen vorgefallen war. Die andere hatte sie zuvor eine niederträchtige Schlampe genannt und geohrfeigt. Daraufhin hatte sie geschrien, dass sie kündige und war aus dem Büro gestürmt.

Hendrik stürmte sofort zu der Frau, die zu Boden gegangen war. Der Schlag hatte sie unerwartet getroffen. Die andere holte nicht einmal mehr ihre Sachen. Hendrik wollte die andere anzeigen lassen. Mit Mühe hielt sie ihn zurück. Er merkte gar nicht, wie sehr er ihre Hand drückte. Die Haut über seinen Knöcheln spannte sich und seine Halsschlagader pulsierte sichtbar. Sie beruhigte ihn und er begann alles zu erzählen, wie er die andere kennengelernt hatte, sie war die Praktikantin im Büro, gerade fertig mit dem Studium und wenn man genau hinsah, erkannte man noch den Staub der Bücher in ihren Haaren und den unsichtbaren Bleistift zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt. Sie war von so offensichtlich vorübergehender Schönheit, dass Hendrik nicht widerstehen konnte.

Man hörte das Zwitschern der Vögel und das Tropfen von Blut auf den gefliesten Boden, das über die frisch geschliffene Axt perlte wie Wasser über eine Lotusblüte.

Sie begannen sich zu treffen. Sie war so schüchtern, dass sie errötete, als er sie fragte, ob sie mit ihm Essen gehen wolle, zu Mittag natürlich, Fräulein, die Rechnung geht auf mich, und sie speisten im Boccaccio, einem Restaurant mit original italienischem Flair. Das Ganze entwickelte sich, ob zu etwas Gutem oder Schlechtem ließ sich zu diesem Zeitpunkt der gegenseitigen Blendung noch nicht sagen, das beteuerte Hendrik mehrmals. Sie gingen also miteinander, teilten also miteinander, lebten also miteinander. Und es lief, ja ganz offen und ehrlich, warum sollte er das geheim halten, ja, es lief gut – am Anfang zumindest.

Eifersucht, Liebe, Schönheit, Rache, Tod
(c) Nathan Walker

Für Hendrik wurde es, einfach gesagt, langweilig. Er betrug sie nicht – nein, so einer war er nicht, aber er fadisierte sich, er sah sie an wie man eine lebensgroße Vase anschaute. Das war nicht in Ordnung, das wusste er ja, aber so war es eben. Er war ein ehrlicher, aber ein feiger Mann, was er allerdings nicht zugab, denn er war auch ein stolzer Mann. Was die Gefühle der anderen betraf, sie schien Hendrik immer mehr zu lieben, je länger sie ihn kannte, und sie merkte auch, dass Hendriks Liebe schwächer wurde, wie die Glut eines Feuers, die man vor langer Zeit geschürt hatte und nun unaufhaltsam erlosch. Obwohl sie es erkannte, wollte sie es nicht akzeptieren. Sie spürte, dass er andere Frauen auf eine gewisse Art ansah. Von diesem Augenblick an wusste sie, dass ihr Glück nicht von Dauer war, aber den Moment ihres endgültigen Bruchs wollte sie so lange wie möglich hinauszögern.

Sie war von so offensichtlich vorübergehender Schönheit, dass Hendrik nicht widerstehen konnte.

Hendrik verhielt sich ihr gegenüber jeden Tag kühler, doch ihr Glück versiegte nicht einfach langsam im unteren Glas der Sanduhr, nein, es zerbrach durch die spitzen Absätze von zehn Zentimetern hohen Stöckelschuhen, verursacht durch den Druck einer jungen, gutaussehenden Schönheit, die allen im Büro den Kopf so verdrehte, dass jeder Mann täglich dreimal versehentlich an ihrem Büro vorbeirannte. Hendrik war verloren, das wusste sie, doch sie akzeptierte es nicht, bis die Situation zum ersten Mal eskalierte. Die Ohrfeige, dachte sie, würde ein Nachspiel haben. Hatte sie aber nicht. Die Neue hatte sich dafür eingesetzt, dass dies nicht passierte. Sie hasste sie dafür noch mehr. Die Sache war noch nicht gegessen. Sie dachte daran, dass es Hendriks Frau ähnlich gegangen sein muss, als sie von ihrem Verhältnis mit Hendrik erfahren hatte. Hendrik hatte ihr allerdings versichert, dass er sich schon lange scheiden lassen wollte. Er hatte alles geregelt. Seine Frau blieb auf den Kindern sitzen, er musste Alimente zahlen, konnte sie aber Gott sei Dank aus der Wohnung werfen, hat er ihr erzählt, als sie weinend und mit schweren Gewissensbissen mitteilen wollte, dass sie aus Rücksicht auf seine Frau besser nicht zusammen sein sollten. Hendrik hatte ihr versichert, das ginge schon und sie fühlte sich zwar immer noch ein wenig schuldig, aber sie liebte ihn so sehr.

Eifersucht, Liebe, Schönheit, Rache
(c) Andrew Pons

Wie sie jetzt über der Neuen stand, die sich nicht mehr rührte, blutüberströmt und mit dem Duft von rostigen Eisennägeln in der Nase, dachte sie an die Worte von Hendriks erster Frau, die sie ihm am Firmenparkplatz entgegengeschleudert hatte: „Du bist das größte Schwein, dem ich je begegnet bin, Hendrik“. Er hatte darauf gegrinst, seine Ledertasche auf den Rücksitz seines Cabriolets gelegt und war mit ihr an seiner Seite davongebraust.

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