Tagsüber mimt sie die beschauliche Gasse, dieses Luder, empfängt dich mit Lebkuchengeruch, blaugefärbtem Alpin-Odeur, kaiserlichem Kaffeeschick im Schokoladenmantel, verzückten Schaufenster-Flanierern und lässt dich nicht ohne bedrucktes, bemaltes, begampsbartetes oder sonst wie verballhorntes Textil wieder gehen, das bestätigt: Ja, ICH WAR IN DER ALPENSTADT (und habe das gleiche ergattert wie zigtausend Asiaten, Italiener, Deutsche usw. vor, hinter oder neben mir – hahaa!). Aber davon kriegst du seltener was mit, weil Uni oder Arbeit – bis du abends heimkommst…
Dann schaust du nach einem anstrengenden Wochentag müde in den Spiegel, putzt dir zum Takt der mitternächtlichen Domglocken die Zähne und streckst dich dann wohlig auf deinem Bett aus. Fast bist du schon in angenehme Träume versunken, da zieht dich etwas wie ein Angelhaken ruckartig wieder aus den Untiefen des Schlummers:
„Jo hööööööö Kickiiiiiii!!“
schallt es markerschütternd durch die enge Gasse und wie im Auftakt zu „Thriller“ tauchen sie auf, die Ausgehleichen oder zu der Zeit noch Ausgehwütigen, begierig alle Hemmungen über Bord zu werfen oder wenigstens Zeugnis davon abzulegen, wie „zachest fertig“ man schon ist.
Einzeln oder in Grüppchen wandern sie unter deinem Wohnungsfenster vorbei. Bald hallt es so ohrenbetäubend durch die enge Gasse, als wäre der Charly Chaplin Pantomime von untertags auch nachts am Gassen-Eingang und würde von jedem verlangen: „Bitte geben Sie hier ihren Verstand ab, ihre Erziehung schmeißen sie bitte in den anderen Kübel. Wer kann, artikuliert was immer er möchte, wer nicht kann, bedient sich Urlaute und wer besonders auf den Putz hauen will, jodelt! Viel Spaß!“
Tatsächlich ist das Repertoire riesig. Zwischen schrillem Gelächter und affenähnlichen Lauten finden sich Zeilen von Gabalier, Petri und StS. Aber auch wagnerische KönigInnen der Nacht bringen die Altbaufenster zum Vibrieren. Vor einiger Zeit drehte ein Punkgirlie mitten in der Gasse sogar ihren Ghettoblaster voll auf. Naja, wird sich der oder die eine jetzt denken, das darf man nicht so eng sehen, wenn man was trinkt ist man halt schon mal bissl lauter, du Spießer.
„Hölle, Hölle, Hölle
Schon klar – aber wollen wir wetten, dass es in der Pampa nur halb so lustig wär, sich so aufzuführen? Es brüllt ja auch keiner in der Po-Ebene, aber mitten im Hochgebirge, wo`s ordentlich Lärm macht, echot alle Welt aus Leibeskräften. Selbiges gilt für die Ho- äh Höllengasse im Stadtzentrum, nur dass einen die Echos dort fast aus dem Bett kippen. Ob hier auch Leute wohnen, die am nächsten Tag eine Prüfung ablegen oder beim Chef morgens möglichst wach einstempeln müssen, darüber kursieren offenbar nur Gerüchte, pah, denen glaubt man sicherheitshalber aber nicht –
alles Fake News, bähm!
Und wenn das Gebrülle dann Ausmaße annimmt, die dann in Lautstärke und Tonalität einem gepeinigten Tieropfer ähneln, fühlst du dich dann auch noch gemüßigt zum Fenster zu sprinten…nur um festzustellen, dass heute ein besonderer Abend ist, nämlich entweder a) Bauernbundball – dann dauert die nächtliche Apokalypse bis 5 Uhr früh – oder b) samstägliche JunggesellInnen-Abschiede. Da lagert die Apokalypse gelegentlich sogar vor deiner Haustür, bis das nächste Café zum Frühstücken aufmacht. Und bis dahin krachen auch schon mal Schnapsleiterwägelchen gegen die Hauswände oder Verkaufsbauchläden in den Rinnstein, weil die angehenden Bräute und Bräutigame vorlauter Angst vor dem potentiell langweiligen Eheleben nochmal ordentlich die Promillesau rauslassen.
Zu diesem Hintergrund-Sound wälzt du dich herum, bisweilen arg in Versuchung einfach mal die Schreibtischlampe aus dem Fenster zu werfen, schauen, ob sie nicht zufällig wen trifft. Meist siegt aber irgendwann doch die Müdigkeit, die dir morgens noch immer in den Augen geschrieben steht und die blauen Ringen darunter wunderbar zur Geltung bringt. Von 5 bis 6 ist es nämlich vergleichsweise ruhig. Um 6 weckt dich dann ohnehin die Müllabfuhr.
Gott, was freust du dich in solchen Momenten aufs Wochenende. Endlich auch Feierabend in der Bar, Altstadt wo sonst, ab in die nächste Gasse hinterm Dachl. Freitag Abend, zur „Hölle, Hölle, Hölle!“ entfährt es dir fröhlich – denn dass in der Gasse ebenfalls arbeitende Leute wohnen, ist bestimmt nur ein Gerücht.