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Arbeitsmodell „selbstständig“ – nur selbst und ständig?

Was es heißt, sein eigener Chef zu sein und warum es einen Versuch wert sein kann

(c) Ian Schneider

„Passt ihr Arbeitsrhythmus nicht zu ihrem Leben? Wollen Sie Ihre eigenen Ideen verwirklichen und ihre eigenen Entscheidungen treffen?“ Wer solche Fragen mit „Ja“ beantwortet, sollte vielleicht lieber sein „eigener Chef“ werden anstatt Angestellter zu sein. Der Schritt dorthin ist allerdings oft leichter gesagt als getan, zumal sich um den Status „Selbstständiger“ viele Mythen ranken – aber wie kommt man nun eigentlich dahin und worauf muss man achten?

(c) Julia Ranigler

Vor nicht allzu langer Zeit stand die Südtirolerin Julia Ranigler (33) genau vor dieser Frage: Selbstständig werden, aber wie? Die heutige Jungunternehmerin kommt ursprünglich aus dem naturwissenschaftlichen Zweig, hatte sich aber bald für die Richtung Management und Kommunikation entschieden. Sie absolvierte einen Lehrgang für Kultur- und Eventmanagement sowie berufsbegleitend den Master of Business Administration in Wien. Nach verschiedenen Erfahrungen als Angestellte ergaben sich schließlich vertragliche Unstimmigkeiten mit dem letzten Unternehmen.

„Aus dieser Situation heraus ist mein Entschluss für die Selbstständigkeit entstanden,“ erklärt Ranigler, „Es gab ein Gesetz, das eine steuerliche Erleichterung für junge Unternehmer bedeutete. Ich hatte daraufhin ein langes Gespräch mit einem Wirtschaftsberater und bin jetzt seit drei Jahren selbstständig im Bereich Kommunikation und Events.“ Als Texterin kleidet Ranigler seitdem täglich Firmenanliegen in ansprechende Worte, betreut Webseiten, organisiert Veranstaltungen und hat mittlerweile sogar den Südtiroler Kneippverband als fixen Kunden über. Die Geschäfte laufen jetzt erfolgreich, aber dies sei einem Erfahrungsprozess geschuldet, meint die Unternehmerin. Unhappy us hat sie einige Tipps bzw. Basics zum Thema Selbstständigkeit verraten und den einen oder anderen Mythos geklärt.

Grundvoraussetzung für die Selbstständigkeit

Wer mit dem Gedanken spielt, selbstständig werden zu wollen, sollte sich grundsätzlich zwei Dinge überlegt haben:

  1. Was soll die Leistung sein, sprich welches Produkt soll verkauft oder welche Dienstleistung angeboten werden?
  2. Wer soll der Wirtschaftsberater sein? Der Wirtschaftsberater ist beruflich der beste Freund der Selbstständigen. Man sollte ihm vertrauen – er kennt sich mit der Gesetzeslage und den Bedingungen für die jeweilige Branche aus. Zudem kann er einem sagen, wie viel man beim Start investieren muss: etwa um eine Mehrwertsteuerposition zu eröffnen (also eine Mehrwertsteuernummer zu bekommen).
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Was spricht eigentlich für und was gegen die Selbstständigkeit?

Ein Pluspunkt ist sicher, dass man als Selbstständiger oft Einblicke in „andere Welten“ erhält. Je nach Branche hat man mit verschiedenen Kunden zu tun und kann die Aufträge später vielleicht auch nach Interesse wählen. Selbstständig zu sein ermöglicht es aber vor allem, den Arbeitsalltag ganz auf sich abzustimmen, man ist sein eigener Chef – das gilt für die Tätigkeit an sich, die Umsetzung der eigenen Ideen, aber auch für die Zeiteinteilung. Ob Früh- oder Nachtmensch spielt meist keine Rolle, sofern die Arbeit erledigt wird.

Andererseits kann gerade dieser Punkt zur Stolperfalle werden. Damit das mit der freien Zeiteinteilung hinhaut, ist einiges an Selbstdisziplin nötig. Außerdem sollte man freie Zeiteinteilung nicht mit Freizeit verwechseln. Man ist selbst für sein Unternehmen verantwortlich, das heißt auch für das Anwerben bzw. Halten der Kundschaft, für die Absicherung und für die Buchhaltung. Da muss schon Arbeit reingesteckt werden. Im Normalfall sollte einem das allerdings nicht viel ausmachen – Leidenschaft für die Sache ist vielleicht die wichtigste Grundvoraussetzung für dieses Arbeitsmodell.

(c) Kyle Wong
Nützliche Tipps für Anfänger und jene, die es werden wollen
  • Das Wichtigste vorweg: einfach mal anfangen! Zu Beginn sollte man nicht zu viel Zeit mit dem Durchspielen sämtlicher Wahrscheinlichkeiten vergeuden – das meiste davon ergibt sich von selbst oder kann einem der Wirtschaftsberater in einem kurzen Gespräch erklären;
  • Apropos Wirtschaftsberater: Man sollte sich unbedingt einen suchen, dem man vertraut. Ist das Vertrauen nicht gegeben, sobald wie möglich wechseln!
  • (c) Igor Ovsyannykov

    Sind die ersten Schritte gemacht, geht es darum Kunden bzw. Projekte zu finden: Dabei können branchenspezifische Webseiten nützlich sein, Arbeitsmarktseiten oder Zeitungen. In einem Verband werden oft auch intern Projekte vergeben. Weiters sind Agenturen gute Anlaufstellen – sie haben oft schon fixe Kundenstöcke. Ansonsten zahlt es sich beim Start aus, soziale Medien zu nutzen, eine Webseite einzurichten und sich im eigenen Bekanntenkreis umzuhören. Letzteres kann oft ein Vorteil sein, weil Bekannte Anfängerfehlern oft toleranter gegenüberstehen – will heißen mehr Spielraum, um etwas auszuprobieren. Achtung: Nicht übertreiben mit Gratisproben seines Könnens. Einen kleinen Betrag kann man fast immer verlangen!

  • Stößt man auf einen neuen Kunden, will diese für gewöhnlich zwei Dinge wissen: Wer bist du und was machst du? Insofern sollte man sich den einen oder anderen Satz zurechtlegen. Selbstvermarktung und Präsentation des Produktes gehören einfach zum Job;
  • Bis einem die Erfahrung zur Hilfe kommt, heißt es lernwillig sein. Erstmal Erfahrung als Angestellter in Firmen zu sammeln ist daher nie umsonst. Außerdem kann ein Angestelltenverhältnis die Situation erleichtern und beim Einstieg in die Selbstständigkeit vorübergehend auch eine zusätzliche finanzielle Sicherheit bieten.
  • Zu Beginn sollte man auch Projekte annehmen, die nicht direkt ins „Beuteschema“ passen – gelungene Projekte sind wichtige Referenzen für später. Achtung: Das Projekt sollte trotzdem technisch schaffbar und überschaubar sein. Prinzipiell gilt aber trotzdem: immer überzeugt sein von den eigenen Fähigkeiten – Zweifel verkaufen sich schlecht!
  • Hat man einen Kunden, gilt vor allem Ehrlichkeit. Man sollte immer kommunizieren wie man arbeitet und den Kunden auf dem Laufenden halten. Kann man z.B. eine Anfrage nicht gleich bearbeiten, ist es oft hilfreich trotzdem zu antworten, etwa: „Danke für die Anfrage, ich schicke Ihnen das Angebot nächste Woche“ – damit der Kunde weiß, was los ist. Dasselbe gilt für Krankheitsfälle oder Arbeitsfortschritte. Ungefähre Zeitrahmen nennen nicht vergessen!
  • (c) Estée Janssens

    Zeit sollte für Projekte dabei stets genügend eingeplant werden – inklusive Puffer. Richtiges Zeitmanagement ist trainierbar. Wie viel man davon braucht, ist aber branchenabhängig.

  • „Was mache ich, wenn ich zu viel Arbeit habe“ ist für den Anfang jedenfalls die falsche Frage: Erst mal braucht man Zeit, um überhaupt Leute kennenzulernen, Aufträge zu bekommen, Werbung zu betreiben und sich zu organisieren. Zu viel Arbeit ist selten das erste Problem.
  • Wichtig: immer Fragen! Das gilt für Wirtschaftsberater, Banken und andere Experten genauso wie für Kunden. Information und konstruktive Kritik sind goldwert!
  • Ähnlich wichtig ist auch das eigene Netzwerk – also Personen, die als Kooperationspartner fungieren. Aufträge kann man auf diese Weise untereinander aufteilen oder austauschen. Außerdem hat man so die Möglichkeit, Kunden ein Gesamtpaket anzubieten, was die eigene Produktpalette um einen attraktiven Punkt erweitert!
  • Seinen Preis hat das Ganze trotzdem. Unter seinem Wert sollte man sich nie verkaufen, schließlich wollen auch Fixkosten bezahlt werden. Aber wie viel verlangen? Produktpreise sind normalerweise konkret errechenbar. Bei Dienstleistungen gibt es die Möglichkeit pro Stunde oder pauschal abzurechnen. Auch für einen Zeitraum ist das möglich: Kommt noch eine Kleinigkeit dazu, ist das im Preis inkludiert. Ist es was Größeres, wird hingegen meist nochmal ein Angebot gemacht. Grundsätzlich hilft es für die Festlegung der Tarife mit anderen Leuten aus der Branche zu sprechen und seine Fixkosten zu überschlagen (Wirtschaftsberater!!). Außerdem: Wie lange brauche ich für die Arbeit und wie komplex ist sie? Schließlich sollte man den Preis so kalkulieren, dass die gesetzlichen Abgaben wie die  Mehrwertsteuer schon abgedeckt sind und man davon leben kann – aber Achtung auf etwaige Umsatzlimits! In der nächsten Steuerklasse kann sich der Gewinn ziemlich schnell dezimieren! Dasselbe gilt für Auslandsaufträge!
  • Zudem sind Kosten auch vom Kunden abhängig: Bei großen Firmen werden Projekte oft länger geplant und zögern sich auch länger hinaus – das heißt, dass man mit großer Wahrscheinlichkeit länger auf sein Geld warten muss. Grundsätzlich ist es bei größeren Betrieben oder Konzernen oft ratsam von vorneherein etwas mehr zu verlangen, weil der arbeitstechnische Aufwand vermutlich größer sein wird – im Nachhinein Aufstocken ist schwierig!
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    Die nötige Buchhaltung ist am Anfang normalerweise nicht so kompliziert wie man denkt: Als Einzelunternehmer genügt es eine einfache Excel-Tabelle zu erstellen: mit Rechnungsnummer, Kunde, Betrag, Rechnungsdatum, Rechnungsziel (in welcher Zeit man gezahlt wird, klass. 30 Tage oder 90 Tage – das legt man fest;) wann hat er mich bezahlt und wie viel. Auf diese Weise hat man auch etwaige Limits im Blick und kann gegebenenfalls beim Kunden nachhaken, sofern er noch nicht gezahlt hat;

  • Thema Verträge: Die einfachste Form ist es, das Angebot unterschreiben zu lassen – die Gestaltung des Angebots ist dabei ganz wichtig. Es gilt: so viel reinpacken wie möglich. Das Angebot dient als schriftliches Dokument, wo z.B. aufgeführt werden sollte, wie die Fahrtspesen berechnet werden oder generell nach welchem Gesetz abgerechnet wird (Wirtschaftsberater!!)
  • Nicht schludrig sein mit der Rechnungslegung, also zeitnah in Rechnung stellen und eventuell Hilfe beanspruchen. Außerdem: Bei größeren Aufträgen sind Teilzahlungen ratsam, sonst muss man oft lange aufs Geld warten; Honorarnoten sind auch eine mögliche Art der Abrechnung für gelegentliche Arbeitsleistungen ohne Mehrwertsteuerposition (Details dazu: Wirtschaftsberater!);
  • Zudem sollte man sich vor dem Kundengespräch immer überlegen, ob man handeln möchte oder nicht – konkret: Was ist der Preis und um wie viel ist der gegebenenfalls veränderbar (abhängig vom Kunden, Arbeitsaufwand, Reputation etc.). Denn rumstottern bei Nachfrage kommt gar nicht gut;
  • Last but not least: Wann aufhören, wann weitermachen? Normalerweise sollte man sich mindestens ein Jahr, wenn nicht bis zu etwa drei Jahren Zeit geben, um etwas aufzubauen. Dann sieht man, ob es funktioniert.

Bei Julia Ranigler hat sich der Sprung ins kalte Wasser gelohnt. Heuer startete sie in ihr viertes Jahr als Unternehmerin. Mittlerweile ist sie sehr erfolgreich unterwegs – nicht immer nur selbst (sprich allein) und auch nicht ständig, aber trotzdem selbstständig und glücklich dabei.

(c) liz99

 

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