Innsbruck, ich muss dich fürchten
Ein unheimlicher Stadtspaziergang durch Innsbrucks Altstadt
Die Fremdenführerin Sabine Frühauf führt auf Anfrage durch die schaurigen Plätze der Innsbrucker Innenstadt. Neben vielen Legenden und Geschichten stecken dort auch Reliquien einer grausamen Vergangenheit – ein unheimlicher Stadtspaziergang.
An einem normalen Wintertag herrscht unter dem Goldenen Dachl reges Treiben. Touristen drehen ihre Runden um den riesigen Weihnachtsbaum, der Geruch von Glühwein und gebratenen Maroni hängt in der Luft. An einem Wintertag im Jahr 1536, genauer am 25. Februar, weht ein Geruch über den Hauptplatz, der die Leute durch den Mund atmen lässt: verkohltes Menschenfleisch. Jakob Huter, der religiöse Führer der Tiroler Täufer, verbrennt an jenem Tag nach langwieriger Folter, bei der er keinen seiner Mitstreiter verraten haben soll, auf dem Scheiterhaufen. Das Schicksal Jakob Huters ist nur eine grausame Anekdote der “Innsbrucker Geister & Sagen-Führung”. Sabine Frühauf ist Fremdenführerin und kennt die Plätze Innsbrucks, an denen schreckliche Dinge passiert sind. Auf Anfrage führt sie Touristen und Einheimische durch die Altstadt und erzählt von wahren Horror-Ereignissen, Geister-Legenden, und Spukgeschichten, die im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert sind.
Wo die Hexen brennen durften
Obwohl sie durch die Führungen mit den dunkleren Plätzen der Stadt vertraut ist, hat ihr noch niemand einen Platz zeigen können, vor dem sie persönlich Angst hat. “Was für jemanden vielleicht unheimlich ist, ist für jemand anderen ganz normal oder überhaupt nicht unheimlich. Das ist sehr subjektiv”, weiß Sabine Frühauf. Die Verbrennung Huters vor dem Goldenen Dachl ist natürlich real und einzigartig: andere Menschen wurden vor den Toren der Stadt, auf einem Platz in St. Nikolaus, wo sich heute unter anderem Parkplätze und ein Bäcker befinden, verbrannt. Ende des 15. Jahrhunderts erhielt der Dominikanermönch Heinrich Kramer, der spätere Autor des Hexenhammers, vom Herrscher Sigmund dem Münzreichen Geleit in die Stadt Innsbruck, um die Stadt von Hexern und Hexen zu säubern. Als man einige Menschen vor Gericht gebracht hatte und schließlich Anna Spießin, eine enge Vertraute des Regenten, ins Visier der Ermittlungen nahm, ließ ein mysteriöser Anwalt namens Dr. Merwais vermutlich auf Anlass der Regierung im Winter 1485 den Prozess platzen. Dem Mönch Kramer wurde nach der Niederlage das sichere Geleit in der Stadt verkürzt. Der Prozess innerhalb der Stadtmauern scheiterte – unweit der Pfarrkirche von St. Nikolaus wurde jedoch weiterhin gegrillt und gehenkt. Der Glaube an verwünschende Hexen soll sich auf der nördlichen Innseite besonders lange gehalten haben. Noch im Jahr 1922 hätte ein Höttinger Bauer den Obrigkeiten eine Frau gemeldet, die eine seiner Kühe lahm gezaubert hatte.
Die untote Margarete
Wenn man historische Fakten beiseite legt und in etwas vagere Gefilde vordringt, ist sich Sabine Frühauf selbst nicht mehr ganz sicher, woran man glauben kann und woran nicht: “Wie wir die Welt wahrnehmen ist ja auf unsere Sinnesorgane zugeschnitten. Wir können ja nur sehen, was unsere Sinnesorgane in der Lage sind, wahrzunehmen.” Vor allem Legenden mit einem Körnchen Wahrheit lassen selbst aufgeklärte, möglicherweise von exzessiver Lektüre bekannter gothic novels geprägte Menschen ein wenig schaudern. So soll sich, wieder einmal in St. Nikolaus, die Innsbrucker Bürgertochter Margarete in den Zeiten des Schwarzen Tods um Pestkranke gekümmert haben, um die sich sonst niemand scherte. Als die Gütige schließlich selbst das ewige hölzerne Bett zu hüten gezwungen war, begrub und vergaß man sie, bis man die Pfarrkirche St. Nikolaus Ende des 19. Jahrhunderts erneuerte. Als man dadurch auf den Leichnam der Margarete stieß, war dieser nicht verwest – nein – nicht einmal die Rosen, die man in ihr Haar gesteckt hatte, verwelkt.
Die unkeuschen Stuten
“Es sind auch ganz bewusst Geistergeschichten erfunden worden”, erzählt Sabine Frühauf vom Vorgehen des neuzeitlichen Klerus. Beispielsweise um Mönche von der Unkeuschheit zu bewahren wurde lüsternen Weibern, denen man lieber die Schuld in die Schuhe schob, das Horror-Märchen des Nagelroats erzählt. Die Frau, die einen tonsierten Mönch verführte, musste nach ihrem Tod bei Nacht als unsichtbare Stute über die Berge reiten – bis sich einer der Hufschmiede in der Schlossergasse der Sünderin erbarmte und ihr Eisen an die Füße nagelte. Die Unsichtbarkeit bildete dabei sicher eine Schwierigkeit. Nun ist Innsbruck möglicherweise nicht die Unheimlichste unter den Städten der Welt, doch irgendeine blutige Geschichte muss doch passiert sein. Sabine Frühauf denkt nach und erzählt die Geschichte eines Salzburger Womanizers mit einem mörderischen Schwiegervater in Spe.
Mord im Turm
Dort wo Touristen heute zu Tausenden hinaufströmen, um einen Blick auf Innsbrucks Dächer zu erhaschen, fand ein Salzburger Jüngling einst ein grausames Ende. Matthias Margreiter war ein fescher junger Mann gewesen. Als Beschützer eines Gesandten des Salzburger Erzbischofs kam er nicht nur an den Innsbrucker Hof, er machte ihn auch der schönen Tochter des Stadtturmwärters. Selbstbewusst und kühn wie er war, ignorierte der verliebte Matthias die eindringlichen Warnungen vor dem Vater der Holden: Das war keiner, mit dessen Tochter man sich Faxen erlauben konnte. Und so passierte es, dass der Alte den Jungen schon beim zweiten Rendezvous erspähte, ihn kurzerhand erstach, zerhackte und verbrannte. Der Geist des Matthias Margreiter soll noch heute in den Gemäuern anzutreffen sein. Nach einem kleinen Stadtspaziergang durch das vielleicht nicht ganz so unheimliche Innsbruck sieht man die Dinge trotzdem etwas anders. Ob man nun Menschenmassen und Anti-Terror-Legosteine am Rande der Altstadt oder den Geist eines toten Salzburgers gruseliger findet, ist jedem selbst überlassen.
Mehr #unheimliches unter: http://www.komplex-kulturmagazin.com