„Ich bin froh, dass überhaupt wer kommt“
Der Nino aus Wien im Gespräch mit unhappy us
Der Nino aus Wien ist Galionsfigur und Urgestein der neueren österreichischen Popmusik. Zusammen mit Natalie Ofenböck tourte er Anfang des Jahres durch Österreich. Wir haben die beiden Künstler in der Innsbrucker Bäckerei getroffen und nach dem Gig bei Zigaretten und Weißwein geplaudert. Herausgekommen ist ein Gespräch über dubiose Nachbarn, HC Strache und den Vorsatz, weniger zu rauchen.
Nino Mandl, alias „Der Nino aus Wien“, sucht seinen Kapodaster. Wie in einer Liveaufnahme seines „Schlusslieds“, in der er sagt, dass er diesen und andere Dinge, die ihm wichtig sind, oft verliert, stakst er zwischen Kabeln und Stühlen auf der verlassenen Bühne der Bäckerei in Innsbruck. Natalie Ofenböck, mit der er zusammen das aktuelle „Grüne Album“ geschrieben hat, hilft ihm dabei. Er findet ihn in der Tasche seines Mantels, der über einem Holzstuhl mit einem eingekerbten Herz hängt. Die Bühne ist ein bisschen ländlich, genauer steirisch, gestaltet. Der Nino aus Wien trägt Skinny-Jeans und Steirerjacke. Natalie hat sich nicht in Tracht gekleidet, aber eine Flasche Weißwein steht vor ihnen auf dem Tisch. Zusammen haben die beiden eine Reise in die Steiermark hinter sich. Was als ein einfacher Gig in der grünen Mark begann, wurde schließlich zum Grünen Album, einer eigentümlichen Kombination aus LP und Gedichtband, der die Reise in die Steiermark in vielen verschiedenen Facetten beschreibt. Schon 2011 haben Nino und Natalie zusammen das Album „Krixi, Kraxi und die Kroxn“ aufgenommen. Natalie Ofenböck wirkt auf der Bühne fast wie ein weibliches Pendant des Nino aus Wien. So ergeben sich zwischen den einzelnen Liedern witzige, manchmal seltsame Dialoge. Nino schweift vom Thema ab, Natalie holt ihn wieder zurück zur Sache. Obwohl man es ihm nicht ansieht wird Nino heuer dreißig. Schon im frühen Erwachsenenalter hat er viele Lieder geschrieben, von denen nur wenige veröffentlicht wurden. Bei seinen zahlreichen musikalischen Gehversuchen hat er gelernt, richtig Lieder zu schreiben.
Nino: „Wie ein Schuhmacher lernt wie man… schu… wie sagt man?“
Natalie: „Schustert?“
Nino: „Schustert oder so. Wie ein Schuster halt. Oder wie ein Elektriker weiß, dass man da irgendwas drehen muss.“
Ob Schuster oder Elektriker, Nino versteht sein Handwerk. Mit poetischen Texten und Gitarrenmusik lässt er die alte Songwriter-Tradition hochleben. Während seiner Konzerte gelingt ihm etwas, was nicht viele Künstler schaffen. Man hängt gespannt an seinen Lippen, man lauscht konzentriert, was er zu sagen und zu singen hat. Trotz des eher textlichen Fokus in seiner Musik will sich Nino nicht als Dichter sehen. Sich Dichter zu nennen findet er eingebildet.
„Sobald ich sage ‚Ich bin der größte Dichter‘ werde ich kein Lied mehr schreiben, nur noch runterziehen und sagen ‚Lasst’s mich durch, ich bin Dichter. ‘ Ich habe Angst vor dem Begriff. Ich glaube erst, dass ich ein Dichter bin, wenn ich mit über siebzig ein goldenes Verdienstkreuz der Republik für meine dichterischen Fähigkeiten bekomme. Dann glaube ich bis zum Ende meines Lebens, dass ich ein Dichter bin. Bis dahin bin ich ein werdender Dichter und versuche besser zu werden als Dichter, der ich nicht bin.“
Nino spricht ausschweifend, doch man hört ihm gerne zu. Er verdreht seine Worte, wiederkäut sie und gewinnt ihnen dadurch einen anderen Sinn ab. Er scheint es zu lieben, mit der Sprache zu spielen. Am liebsten mit seiner eigenen. Zwischen den Songs erzählt Nino kleine Anekdoten und Gedanken, die er aber nicht vorbereitet, außer, wenn er mit seinem Kollegen Ernst Molden auf der Bühne steht.
Das Publikum auf seinen Konzerten setzt sich aus einer interessanten Mischung zusammen. Vom Hipster-Teenager, über den einsamen Mittvierziger mit Bier und Brezel in der Hand bis zum pensionierten Theaterbesucher-Ehepaar. Nino spricht nicht bewusst eine Zielgruppe an, bleibt bescheiden:
„Ich bin froh, dass überhaupt wer kommt. Ich weiß nicht, wieso die Leute überhaupt kommen.“
Nino will, so gut es geht, sein Ding durchziehen. Schon früh hat er bemerkt, dass er nicht wie „ACDC, Eminem oder Shakira“ ist. Nino bemüht sich, „halbwegs entspannt, sehr konzentriert, mit Liebe und Hingabe meine Lieder zu singen.“ Dafür ist er auch bereit, den Rock’n‘ Roll Lifestyle ein wenig einzuschränken. Es gehe ihm nicht grundsätzlich um Selbstzerstörung und weniger rauchen wolle er auch. Zwei Minuten später greift er wieder zur Schachtel, die noch zur Hälfte mit seinen starken und im „Praterlied“ besungenen Johnny-Player-Special-Zigaretten gefüllt ist. Nino kann nicht nur für keine bestimmte Zielgruppe schreiben, er könnte auch keinen Protestsong singen. „Ich finde nicht die Worte“, meint er nur, „Ich bin viel zu sehr in mir selber beschäftigt, um ein Lied über die ganze Welt machen zu können.“
Anlass zum Protest gibt es aber auch für den Nino aus Wien genug. Gegen den in Europa und der restlichen westlichen Welt auftretenden Rechtsruck hat er ein, wie er meint „abgedroschenes“ Mittel. „Man sollte mit den Leuten reden. Ich verbanne die Leute nicht, die den Strache auf Facebook liken. Ich möchte auch wissen, wieso man den Strache mag oder den Hofer und diese ganze Bagage.“ Danach holt der Nino noch weiter aus. Künstler dürfen das. Redakteure nicht. Aber wie soll man das genau angehen, mit den Leuten reden?
Nino: „Jeder hat eine Verantwortung, die man leben muss. Man muss bei seinem Nachbarn beginnen.“
Natalie: „Man beginnt bei sich selbst, nicht bei seinem Nachbarn! Kennst du deinen Nachbarn?“
Nino: „Mein Nachbar in Hirschstetten liebt halt den Hofer und den Strache.“
Natalie: „Aber deinen Nachbar jetzt kennst du nicht.“
Nino: „Nein, den nicht. Das war nur ein Sprichwort. Man beginnt bei seinem Nachbarn.“
Ein großes Vorbild von Nino ist Bob Dylan. An Bob Dylans Musik bewundert er die allgemeine Gültigkeit seiner Kunst. Dylan hat Protestlieder geschrieben. Warum schreibt Mandl dann keine? „Ich habe gehört, Bob Dylan hat Protestlieder geschrieben, um seine politisch engagierte Freundin zu beeindrucken.“ Nino denkt eine Weile nach, zieht an seiner Zigarette und sagt: „Vielleicht komme mal aus meinem Kopf heraus und finde die Worte für die Bewegung gegen den Strache oder so. Bis dahin schreibe ich Lieder übers Rauchen und übers Schlafen.“ Seine Worte lösen sich in leises Lachen auf.
Nino bleibt bei seinen Liedern und seinen Themen, und damit ist er schon mehr als ein Jahrzehnt auf Kurs. Er ist das eigenwillige Urgestein der neuen Szene der österreichischen Popmusik. In den vergangenen Jahren wurde alles von Wanda und Co. umgekrempelt. Wiener Undergroundmusik wurde plötzlich Stuben- oder Radiorein, abgesehen vom alternativen, dem Nino von beinahe erster Stunde an treuen Sender FM4. Marco Wanda füllt mit seiner Band Konzerthallen von Berlin bis Bologna, doch Nino ist nicht neidisch. Marco Wanda hätte schon mit 16 perfekt singen können. Obwohl sie gleichalt sind, hat Wanda schon vor ihm begonnen, Musik zu machen und hat sich Zeit gelassen, groß rauszukommen. Bei Nino Mandl hätte der Weg zum guten Singen nach eigener Einschätzung etwas länger gedauert. „Erst jetzt kann ich so langsam ein bisschen singen. Marco ist der beste Sänger von allen, die ich kenne“. Die beiden mögen sich also immer noch, immerhin waren sie letzten Sommer zusammen auf Kreuzfahrt-Tour.
Im April erschien Ninos nächstes Solo-Album mit dem Titel „Wach“, auf dem er weiteren vier Idolen, den Beatles, Tribut zollt. Der Einfluss der Fab-Four war zwar schon auf früheren Alben deutlich vernehmbar, doch dieses sei das „beatlesqueste Album“. Schwärmend erklärt Nino, dass das Album mit Bandmaschine, wie in den Sechzigern, aufgenommen wurde. Mit echten Beatles-Mikrofonen. Noch eine ganze Weile sprechen Nino und Natalie vom Leben in Wien, erkundigen sich nach dem Leben in Tirol. Bevor sie gehen, holen sie sich noch einen Restaurant-Tipp. Draußen, wo es sehr kalt ist an jenem Abend, trennen sich unsere Wege. Wir schütteln uns kurz die Hände, und sie spazieren in die Innenstadt. Ich drehe mich noch einmal um, blicke ihnen nach und glaube trotzdem, dass der Gitarrenkoffer von einem Dichter getragen wird.