unglaublich

Der alte Bekannte

unheimlich, komplex, bloggen, innsbruck(c) Olenka Kotyk

Der Regen pochte laut gegen die Scheibe und er wusste, wohin der Weg ihn führte. Die Scheibenwischer schnellten hin und her und fassten die Tropfen entlang der Gummiblätter zu Flüssen zusammen,die durch den Fahrtwind nach oben rannen und seitlich auf den Asphalt und in den Straßengraben katapultiert wurden. Das Autoradio säuselte leise, doch er hörte nicht hin. Sein Blick war auf den nach rechts gewölbten Lichtkegel ausgerichtet, der durch die Dunkelheit kämmte.

Die Regentropfen warfen das gelbliche Licht zurück, bevor sie auf den Boden trafen. Dieses Mal, dachte er sich, würde ihn der andere nicht einholen. Er drückte fest auf das Gaspedal und schielte kurz auf die blau schimmernde Anzeige. Seit den letzten fünfzig Kilometern hatte er das Gefühl, dass der andere sich auf den Weg gemacht hatte, dass er aus seiner Kammer ausgebrochen war, in der er ihn sicher verwahrt geglaubt hatte wie einen bissigen schwarzen Hund. Bald würde er selbst die Grenze erreichen und alles hinter sich lassen. Er würde in Richtung des großen Meeres fahren, wo es morgens schon hell war und warm, wo er auch in der Nacht nur eine dünne Decke brauchte, die seinen mageren Körper vor der Kälte bewahrte: Dort, wo ihn niemand kannte, wo man ihn in Ruhe ließ, wenn er es wollte. Aber der andere war auf dem Weg.

Er klammerte sich an das Lenkrad, atmete tief ein und aus und spürte dabei die klappernde Pillenschachtel in seiner Brusttasche. Die Tachonadel pendelte sich zwischen hundertfünf und hundertzehn ein und in jeder Kurve schlitterte der Wagen weit über die weiße, unterbrochene Linie. Bald tauchten vor ihm zwei rote Lichter auf, denen er sich rasend näherte. Er bremste, lenkte leicht nach links, beschleunigte und zog vorbei. Er fragte sich, wann der andere auf dieses einsame Licht stoßen würde.

Kurz vor der Morgendämmerung schoss er über die Grenze. In der dunkelsten Stunde der Nacht überkam ihn die Hoffnung, dass der andere ihn vielleicht vergessen hatte, dass er an einer Raststätte stehen geblieben war und sich einer wichtigeren Sache entsinnte, die es zu erledigen galt. Gleichzeitig wusste er, dass es vergeblich war. Erspürte, dass der andere ihm an den Fersen hing, dass er es nicht an die See schaffen würde. Als sich Himmel und Erde am Horizont spalteten wie ein sich öffnendes Auge, sah er die schmerzend bunten Häuser des Ortes, den er durchfuhr. Das akustische Signal der Tankleuchte ließ ihn zusammenfahren und leicht vom Gas gehen. Wenn er hielt, hatte er verspielt. Der andere fände ihn, der andere belagerte ihn bis er in seinen Schädel hineinspazierte wie durch eine offene Tür.

Sein Fuß drückte das Pedal durch und er spürte, wie sich sein Rücken in den Sitz presste. Er würde fahren, bis der letzte Tropfen des Kraftstoffes aufgesogen und durch das Auspuffrohr in den Himmel gestiegen war. Die Nadel lag schon lange im roten Bereich, als der Motor zu stottern begann. Er dachte, er hätte am Himmel Blitze gesehen, doch die Leere über ihm gähnte gleichgültig.

Vor der Ausfahrt zu einer Autobahnraststätte riss er das Steuer herum und rollte über den spröden Asphalt durch die alten Tanksäulen hindurch bis vor ein heruntergekommenes Café, in dem das Licht schon angeschaltet war. Als er auf dem leeren Parkplatz die Handbremse zog, war der Motor tot. Er stieg aus dem Wagen, schlüpfte in seine Jacke,obwohl es nicht kalt war und stieß die Tür auf. Drinnen roch es nach abgestandenem Zigarettenrauch und Spülmittel. Er setzte sich an die Bar und bestellte bei einer dunkelhaarigen Frau eine Tasse Kaffee. Aus versteckten Lautsprechern schallte alte Musik, die sich melancholisch über die Tische und Stühle legte wie eine dünne Staubschicht. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete auf den anderen.

Lange würde es nicht mehr dauern. Er hatte bereits dieses Ziehen im Magen, als ob ein Wurm in seinem Inneren wütete und sich an seinen Organen labte. Die Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen, doch er wartete geduldig. Die abgenutzte Bar mit den vielen schwarzen Flecken, die von den Zigaretten zeugten, die achtlos auf dem Holz ausgedrückt worden waren – manche fest, manche sanft und langsam – erfüllte ihn mit Ekel. Ihm war kalt, obwohl die elektrischen Heizstrahler über seinem Kopflaut surrten. Als der Kaffee vor ihm stand, legte er den Stummel in den Aschenbecher. Er beobachtete den grauen Stumpf, der weder qualmte noch glühte. Das Getränk war bitter und schwer zu schlucken. Plötzlich spürte er die Zugluft im Nacken, als sich die Tür hinter ihm öffnete.

Er fühlte die langsamen, festen Schritte des anderen, der sich ihm näherte und sich auf den Hocker neben ihn setzte. Er grüßte schweigend und bestellte mit einem Fingerwink, dann blickte er langsam zum einzigen Gast. Sie nickten einander zu. Der Besiegte spürte die Kälte jetzt ganz nah bei seinem Herzen. Der andere zog sein graues Hemd aus der Hose und löste langsam den Gürtel. Der Besiegte neigte seinen Kopf, sodass ihm der andere den Gürtel in alter Gewohnheit um den Hals legen und festzurren konnte, bis er sich darum schmiegte wie eine zweite Haut. Als das Getränk des anderen auf der Theke stand, räusperte er sich klirrend und trank in aller Ruhe aus, bevor er ihn an der Leine packte und nach draußen zog. Sie hatten eine Menge zu besprechen und der Tag war noch jung.

 

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