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Wie wir arbeiten werden

Pokern um ein neues Gesellschaftsmodell

(c) Carl Heyerdahl

Flexibilisierung, Zeitwertkonten und Grundeinkommen heißen die Zauberformeln, die der Zukunft die Stirn bieten und der Digitalisierung Rechnung tragen sollen. Der Einsatz des Spiels: unsere Gesellschaft. Was gibt es zu gewinnen, was zu verlieren?

Es ist ein schöner Morgen in nicht allzu ferner Zukunft. Mustermann geht aus dem Haus, das Graph-Pad unterm Arm für seine Entwürfe.  09.00 Uhr – genau die richtige Zeit. Die Nachbarin, eine Technikerin, hat ihre Rollläden geschlossen – sie  bevorzugt 10.00 Uhr. Auch der Nachbar von vis á vis ist noch verbunkert – er bevorzugt das Grundeinkommen ohne Zusatzverdienst. Indessen hat Mustermann das Gartenhäuschen erreicht. Büroräume inspirieren ihn nicht, das verlangt auch keine Firma mehr. Es weiß ohnehin jeder, wann er arbeitet – automatisch, sobald er sich über das Pad ins Programm einloggt. Arbeitsstart 09.10 Uhr. Die Zeit läuft und Mustermann legt los, zeichnet Entwürfe, die Maschinen anschließend Realität werden lassen. Arbeiten wo und wann er möchte, weil er es möchte, nicht weil er muss: Flexibilität in jeder Hinsicht, ohne Nebenwirkung. Oder?…

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Mehr als Utopie
(c) Alex Knight

Tatsächlich ist die Vorstellung einer freien Arbeitsgestaltung nicht neu. „Heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren […] ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“, davon hatte schon Karl Marx im 19. Jh. geträumt. Heute scheint eine derartige Idee gar nicht mehr so abwegig. Nachdem Maschinen vor über 200 Jahren die Arbeitswelt grundlegend revolutionierten, ist sie heute durch die Digitalisierung erneut im Wandel. Immer mehr Handgriffe werden an Maschinen, Roboter und Software-Systeme delegiert – fixe Begleiter unseres Alltags, aber auch ernste Konkurrenten und Mitspieler am Arbeitsmarkt. Das macht Marx‘ Idee wieder aktuell – wenn auch in anderer Ausführung. In der österreichischen Regierung heißt der erste Schritt dazu vorerst „Arbeitszeitflexibilisierung“.

Dynamische Arbeitsgestaltung – Fluch oder Segen?

Im österreichischen Parteiprogramm heißt Arbeitszeitflexibilisierung zunächst mal eine Erweiterung der maximal möglichen Arbeitszeit: Zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche sollen ab jetzt möglich sein. Das gilt auch für Gleitzeit, dem laut Standard (12/2017) beliebtesten Arbeitszeitmodell in Österreich, auch wenn Fix-Arbeitszeiten praktisch noch überwiegen. Verhandelt sollen diese Regelungen künftig auf Betriebsebene werden, einschließlich Wochenend- und Feiertagsdiensten. Wer lieber spart, kann möglicherweise bald auf ein Zeitwertkonto zurückgreifen – ein persönliches Depot, wo Überstunden, Zulagen oder Prämien überwiesen werden können, um sich später mehr Freizeit zu leisten. Inwiefern es bei all diesen Regelungen Hintertürchen gibt, etwa was die Bezahlung der Überstunden betrifft oder die tatsächliche Freiwilligkeit zur Zwölf-Stunden-Arbeit darüber scheiden sich noch die Geister.

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Interessant wird aber die Frage, wie diese Arbeitszeit künftig erfasst werden soll. Diesbezüglich sieht Mag. Bernhard Mair, Arbeitspsychologe und Dozent am MCI Innsbruck, auch große gesellschaftliche Herausforderungen: „Arbeitszeiterfassung erfolgt heute schon oft nicht mehr am Papier oder PC, sondern per Smartphone. Damit verbunden ist auch die Lokalisierung. Ort und Zeit werden  automatisch festgehalten, das heißt: Der Mitarbeiter, der z.B. nach New York geschickt wurde, drückt dort auf ein Knöpfchen und drückt wieder drauf, wenn er seine Tätigkeit beendet hat.“ Das biete dem Arbeitgeber zwar eine gewisse Versicherung, erzeuge aber auch Druck bei den Mitarbeitern, möglichst viel jederzeit zu tun, weiß Mair aus der beruflichen Praxis.  Pausen zu machen wird sich so mancher bei der bestehenden Konkurrenz also genau überlegen.

Andererseits bietet dieses System die Möglichkeit auch zu Hause zu arbeiten, ohne umständliches Einloggen in eine Uhr. Man würde seine Arbeitszeit praktisch selbst dokumentieren. Vertrauensgleitzeit nennt sich das. „Man könnte abends arbeiten, während die Kinder schlafen.  Wie das allerdings im Umgang mit dem Partner funktioniert, ist fraglich,“ gibt Mair zu bedenken, „ denn diese Person sieht ja, dass ich da bin und möchte vielleicht lieber ein Gespräch führen.“ Prinzipiell spiele es aber keine Rolle, ob man zum Arbeiten ins Büro gehe oder nicht. Im Gegenteil, man spare sich Wege.

Wie steht es aber mit der (Eigen)verantwortung, die den Personen durch so ein System übertragen wird?

Prinzipiell ist die Arbeitszeit gesetzlich geregelt und auch die Erreichbarkeit unterliegt festgelegten Schranken (z.B. Kollektivvertrag). Über diese Vereinbarungen hinaus ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, Forderungen an den Arbeitnehmer zu stellen, wie die AK Tirol bestätigt. Trotzdem „gehört  da eine große Mündigkeit dazu, mit dieser Verantwortung und mit mir selbst umzugehen, „meint Mair, „Ich denke da auch an Ein-Personen-Unternehmen: Menschen, die Arbeit unbedingt leisten wollen und nicht darauf achten, wie viel Zeit und Ressourcen sie da reinstecken und wie viel sie von ihrem Privatleben aufgeben. Denn Fakt ist auch, dass sich Arbeit und Freizeit mittlerweile sehr vermischen. Das erlebe ich sehr stark in der Praxis.“ Tatsächlich befinden sich laut einer Repräsentativerhebung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz aus dem Jahr 2016/17 etwa 44 % der Befragten in Österreich entweder im Burn-out-Problemstadium, in der Übergangsphase oder bereits im Krankheitsstatus.

(c) Lily Lvnatikk

Die erwähnte Vertrauensgleitzeit ist allerdings keine neue Erfindung. In Österreich mag das nötige wechselseitige Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dafür noch weitgehend fehlen.  In Deutschland findet dieses Modell aber schon länger Einsatz. Die Firmen kennen die Tücken und bedienen sich oft technischer Hilfsmittel, einerseits zu ihrem Schutz, andererseits zum Schutz der Arbeitnehmer. Was letztere betrifft, stellt Siemens z.B. nach einer gewissen Uhrzeit keine Telefonate oder Mails mehr durch, weiß Mair, „Wenn Vertrauensgleitzeit  eingeführt wird, sehe ich es als Sorgfaltspflicht des Unternehmens die Mitarbeiter zu schützen.“ Das ist oft leichter gesagt als getan, zumal es im Kopf nach der Arbeit gern weiterrattert. Aber abschalten ist notwendig – nur, woher die Disziplin nehmen?

Eine Dosis Selbstdisziplin

Die gute Nachricht ist: Disziplin ist lernbar. Kniffliger wird es als Paar. Dann sei Bemühung von beiden Seiten gefragt, schmunzelt Mair. Prinzipiell gäbe es aber dreierlei, worauf man schauen müsse:

  1. Zeitachtsamkeit entwickeln. Die Frage lautet: „Was mache ich gerade? Mach ich zwei Dinge gleichzeitig? Achtsamkeit lässt sich am besten trainieren, indem man sich jeden Abend an drei gute Dinge erinnert, die einem an diesem Tag widerfahren sind. Diese Momente sollte man versuchen nachzufühlen und sich anschließend fragen, welchen Beitrag man dafür geleistet hat, d.h. weshalb es zu diesen positiven Momenten gekommen ist.  Durch diese Übung, sollte bereits nach drei Wochen eine positive Entwicklung im Bezug auf die Selbstachtsamkeit erkennbar sein.
  2. Persönliche Neigungen feststellen: Verwende ich meine Arbeitszeit als Argument für meinen Selbstwert und arbeite länger aus Prinzip? Auch da hat der Gesetzgeber Grenzen aufgezeigt. Diese Normen sollten einem bewusst sein.
  3. Selbstlüge: Waren es wirklich so viele Pausen an diesem 12 Stunden Tag oder waren es doch 12 Stunden Arbeit? An diesem Punkt sollte man sich seine Arbeitsaufzeichnung wochenmäßig anschauen, um festzustellen, ob und wie lang man die Grenze überschritten hat. Damit gibt es keine Ausreden mehr, nun gilt es Entscheidungen zu treffen.
Raucherpausen ohne Rauch
Das primäre Rüstzeug bleibt allerdings ein klassisches Zeitmanagement, bestehend aus Strukturierung und Prioritäten setzen.  Externe Hilfen wie z.B. Wecker können dabei  zwar nützlich sein, andererseits können sie aber auch Stress auslösen. Dessen sollte man sich bewusst sein.
Pausen gehören ebenfalls zum richtigen Zeitmanagement. Am besten funktionieren einige Minuten an der frischen Luft mit Kollegen – genau genommen also Raucherpausen ohne Rauch. „Alles, was über 90 Minuten konzentriertes Arbeiten geht, führt zu einem Leistungsabfall um 50 %,“ unterstreicht auch Mair, daher sei die Mittagspause von mindestens 30 Minuten wohl kein Zufall.
(c) Joshua Ness
Flexibilität gegen Sicherheit – Deal?

Arbeitszeitflexibilisierung bedeutet heute aber auch kürzere Vertragszeiten. Viele Firmen erhoffen sich dadurch  Innovationspotential und setzen vermehrt auf Mitarbeiter, die gewillt sind, mobil zu arbeiten bzw. zu leben – teils im Ausland. Dafür spricht sich auch die neue ÖVP Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck aus: „Bei jungen Menschen ist nicht einzusehen, dass sie sich nicht bewegen,“ heißt es da in einem Interview mit dem Standard. Die Digitalisierung macht es möglich. Auch an Ehrgeiz und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung fehlt es heutzutage bei den Absolventen nicht. Allerdings kostet das Ganze einen Preis: Je höher die Flexibilität, desto geringer ist die Sicherheit, was wiederum ein geregeltes Privatleben erschwert und „mobile“ Jobs trotz Gehaltsbonus längerfristig eher unattraktiv macht, wie Mair aus seiner beruflichen Praxis bestätigen kann.

Diese Situation stellt auch die Arbeitgeber vor große Herausforderungen. „Ein Auftraggeber, international tätig, bietet technische Consulting Leistung,“ nennt Bernhard Mair ein konkretes Beispiel, „11 von 12 Monaten sind die Mitarbeiter unterwegs. Die Anforderungen sind von Anfang an klar, das Gehalt hochinteressant.“ Der Auftraggeber tue sich aber seit Jahren schwer, neue Mitarbeiter zu finden. Anfängern sei nicht klar, was es bedeutet, „ nur über Skype mit dem Partner zu kommunizieren, wichtige Entwicklungsschritte der Kinder zu verpassen – die sagen nach einem Jahr, sie hätten sich das anders vorgestellt…“

(c) Alexander Dummer

Allerdings ist Mair überzeugt, dass ein gesellschaftlicher Wandel eintreten wird. Künftig würden Paare ihren Lebensmittelpunkt zwangsläufig auf den kürzesten Abstand zu beiden Arbeitsplätzen verlegen müssen. Zudem biete die schwierige Situation eine Chance für kleine Firmen. Wer auf Expansion verzichtet  und sich stattdessen spezialisiert, kann auch gegen den Strom schwimmen und seinen Mitarbeitern wieder mehr Stabilität ermöglichen – sofern sich nicht doch Marx’ Idee einer komplett flexiblen Arbeitsgestaltung irgendwann durchsetzt und dadurch ohnehin das Gesellschaftsmodell neu generiert würde.

Wie wir arbeiten werden

Es gibt da noch einen anderen Zeithorizont, wo man Arbeit nur macht, um über ein Grundeinkommen hinauszukommen,“

erklärt Mair und spielt damit auf ein Experiment in Finnland an. 2000 Langzeitarbeitslose erhalten dort seit 2017 ein Grundgehalt, auf das sie noch oben drauf „verdienen“ dürfen. Funktioniert das Experiment, gedenkt man das Modell auszuweiten. Auch in der österreichischen Politik ist die Idee eines bedingungslosen Grundgehaltes im Gespräch.

Bernhard Mair hält sich diesbezüglich an die Einschätzung des Theologen Herwig Büchele, der bereits in den 90ern prophezeite: „Arbeit wird so verteilt sein, dass ein Großteil der Arbeit maschinell erledigt wird. Der Rest ist aber so  individuell, dass Maschinen den Menschen nicht ersetzen können, etwa in der Entwicklung oder bei sozialen Arbeiten.“ Dabei schließt Mair auch die Möglichkeit virtueller Arbeitsräume nicht aus, wodurch man ebenfalls Zeit gewinnen könne. Die Berührungskomponente fiele dann allerdings weg. Was das für den Menschen bedeuten würde, ist fraglich.

(c) Jakob Owens

Ganz sicher würde man aber trainieren müssen, wie man mit der gewonnen Zeit umgeht. Zudem würde es eine Aufwertung geben, wo der Selbstwert nicht am Geld, sondern an den Tätigkeiten gemessen würde, davon ist Mair überzeugt. Denn „Adaptierung von Maschinen auf jede Einzellösung wird es nicht geben. Damit wäre der Gegensatz ‚Leben, um zu arbeiten oder arbeiten, um zu leben‘ kein Gegensatz mehr“…

Nichtsdestotrotz wird es einem als junger Mensch auch in diesem Fall nicht erspart bleiben herauszufinden, was man will, und sich Konflikten auszusetzen. Vielleicht aber werden wir tatsächlich irgendwann so etwas wie teilkapitalistische Gemeinnützige sein, die mit ihrem Graph-Pad im Garten sitzen oder ihre Tage damit verbringen werden, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren […], ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“

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