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„Eigentlich ist mein ganzes Leben eine reine Selbsttherapie“

Jo Stöckholzer will nach seinem ersten Album ganz nach oben

(c) Matthias Dietrich

Der Innsbrucker Musiker Jo Stöckholzer will nach seinem ersten Album richtig durchstarten. Im Gespräch mit unhappyus erzählt er von Jugendsünden, fatalem Ruhm und wie man den Wahnsinn des Musikbusiness übersteht. 

Pünktlich um halb sechs betritt er den Raum und geht schnurstracks auf mich zu. In der Linken die prall gefüllte Plastiktüte eines Elektrohändlers in der Hand, die Rechte mir entgegenstreckend. Er setzt sich, fährt sich durch seine nicht ganz schulterlangen, etwas zerzausten Haare und wir legen los. Als die Kellnerin kommt, bestellt er sich einen Tee. Vor mir sitzt er also, der Stadttroubadour, 23 Jahre jung und doch kein neues Gesicht in der lokalen Musikszene. Jo spricht nicht laut, sondern mantrahaft und tastet sich in seinen Formulierungen an den Sinn seiner gewünschten Antwort heran. So ist es auch mit seiner Musik. „Ich sitze da, spiele etwas und singe gleichzeitig dazu. Dann kommen Phrasen aus dem Unterbewusstsein herauf und so entstehen dann oft Lieder, wo ich dann erst ein halbes Jahr später draufkomme, was ich selber damit gemeint habe.“ Begeistert erzählt er davon, dass so mancher Song in nur zehn Minuten von der Hand geht. Er denkt nach, lächelt verschmitzt und sagt: „Selbsthilfe.“ Johannes kann über sich selbst lachen. Eine Art von Humor, die man im heutigen Musikgeschäft wohl braucht.

Angefangen hat alles im kleinen Patsch am Fuße des Patscherkofels, wo er mit neun Jahren begann, Schlagzeug zu spielen. Das einzige Instrument, in dem er jemals Unterricht genommen hat. In seiner Schulzeit spielte er sich als Schlagzeuger bei der Teenie-Band Half-Past Whatever vom Schulhof zum Frequency Festival und wieder zurück, eine lehr- und lektionenreiche Zeit, die er schmunzelnd als Jugendsünde bezeichnet. Mit 17 Jahren folgte die Entscheidung, alleine weiterzumachen – oder alleine anzufangen. Seit dem arbeitet und kämpft Jo hart für seinen Traum, von der Musik zu leben und etwas Bleibendes zu schaffen.

(c) Simon Rainer

„Stell dir vor, wenn der Herbert Grönemeyer zu The Voice of Germany gegangen wäre…“

„…da hätte sich keiner umgedreht. Wirklich nicht. Er ist aber so revolutionär wie er singt, wie er seine Lieder schreibt. Das ist schon ein Ziel, so etwas zu erreichen.“ Seine Vorbilder, die er „Helden“ nennt, spornen ihn zwar an, doch er scheint seinen eigenen Weg gehen zu wollen. Die eigene Kreativität ausleben zu dürfen hat seinen Preis. Stöckholzer organisiert alles selbst, arbeitet nebenher als Grafiker und kommt erst in den frühen Morgenstunden überhaupt dazu, Musik zu machen. Seine Musik ist vielfältig, klassisches Songwriting schwebt auf seinem Debut im fragilen Rahmen elektronischer Musik. Dabei soll es nicht bleiben: Nach einer Kooperation mit der Melodic Hardcore-Band Tripsitter soll das Ende des Jahres erscheinende zweite Album ein wenig nach Hip Hop klingen. Die neue Austropop-Welle unter der Vorhut von Wanda, Bilderbuch und Co. hat Österreich auf den Schirm der großen deutschen Musikindustrie katapultiert. Beinahe jede Woche werden Bands der Stunde gekürt, doch die wenigsten können ihr Niveau halten. Jo Stöckholzer ist geduldig. Wie ein zu schneller Aufstieg eine Band zerstört, hat er am eigenen Leib erfahren: „Es ist für die Bildung eines Selbstbildes nicht ganz gesund.“ Für das beste Beispiel eines explodierenden Personenkults und dessen Auswirkungen hält er Justin Bieber. „Ich glaube, Justin Bieber ist das ultimative Beispiel. Wirklich von 0 auf 100, womit man dann echt einen Menschen damit ruiniert.“ Mit deutschen und österreichischen Kollegen will er es sich lieber nicht verscherzen, denn auch dort gibt es Gesellen mit einem Hang zur Selbstüberschätzung. In der heimischen Musikbranche reicht man sich bis zu einem bestimmten Bekanntheitsgrad lieber die Hände. Freunderlwirtschaft ausnahmsweise in einem sinnvollen Kontext, denn alleine geht man in der Musik öfters unter als zu zweit oder zu dritt. „Je mehr du dein Netzwerk pflegst, desto weiter geht’s halt.“ Aber nicht nur die Musikindustrie und die Online-Streaming-Dienste machen es den kleinen Musikern nicht leicht. Ohne Konzerte verdient man nicht viel und von diesem gibt es selbst in Innsbruck schon mehr, als man besuchen könnte.

 

„Wir haben da teilweise in Slums gespielt“

 

Im Frühling tourte Johannes Stöckholzer zusammen mit der Band Tripsitter nach der Zusammenarbeit am gemeinsamen Song „Tut gut“  in einem pinken Van durch Russland und machte Erfahrungen mit einem Markt, der noch nicht so überflutet ist wie hierzulande. „Die haben halt den Überfluss noch nicht. Und das war sehr schön, weil die geben dort das Geld aus, das sie nicht haben. Die sind einfach glücklich, dass jemand aus Westeuropa in ihr Kaff kommt und spielt, weil sie das nicht jeden Tag haben.“ Auf Bequemlichkeit haben Jo und die Jungs von Tripsitter auf ihrer Tour verzichtet, teilweise in heruntergekommenen Vierteln oder Slums gespielt und geschlafen. Am Tag vor dem Interview war Jo auf Tour in der Slowakei. Was er bei den Abenteuern mit Tripsitter gelernt hat: überall schlafen zu können. Jo ist wohl der erste deutschsprachige Liedermacher aus Innsbruck, der auf Russlandtour ging. Dazu kam es über die befreundete Band Tripsitter, die auf ihrer geplanten Tour noch einen Platz frei hatten. „Für mich ist das super, wenn ich sagen kann, ich gehe als deutschsprachiger Liedermacher auf Russlandtour. Auch wieder ein Ding, das in den Köpfen drin bleibt.“ Daheim herrscht ein Kampf um Likes auf Facebook und Views auf YouTube. Wer als Songwriter erfolgreich sein will, braucht eine Zielgruppe und den Mut zur Musik abseits der Top 40. „Da ist es mit gutgelaunter Musik natürlich einfacher, weil die Leute lachen lieber als sie weinen. Meine Zielgruppe ist eine, die sich damit auch befassen will, und darauf eingehen will, und das live auch wirklich spüren will.“ Wir sprechen lange über die Frage, ob die Welt noch Platz für Poesie hat. Offene Fragen sind für Jo gemacht, denn so scheint sein Denken zu funktionieren. Er destilliert seine Sätze und denkt nach, bis die Essenz zuletzt aus seinem Mund kommt. „Was früher einfach wunderschön ausgeschrieben geworden ist, ist heutzutage Satire“, sagt er nach langem Überlegen. Die Menschen kommen ihm abgestumpft vor, doch er betrachtet diese Dinge nicht kritisierend, sondern eher nüchtern. Wie sollte dann der perfekte Text sein? „Auf den Punkt gebracht muss es heute so klar und schräg wie möglich sein, dann hast du etwas Gutes geschaffen.“ Satiriker, denkt er, sind die neuen Helden in einer Zeit, in der niemand weiß, was morgen geschieht.

(c) Matthias Dietrich

 

„In Innsbruck hat man den Vorteil, dass man eigentlich genau mittendrin ist“

 

Jo lebt und arbeitet in Innsbruck. Während viele seiner Freunde und Kollegen in große Städte ziehen, bleibt er in der Kleinstadt und versucht, die Lage auszunützen. „In Innsbruck hat man als deutschsprachiger Musiker den Vorteil, dass man eigentlich genau mittendrin ist. Du hast Deutschland, du hast Österreich, du hast die Schweiz, du hast Südtirol, du bist also wirklich genau in der Mitte.“ Und damit ist er bei weitem nicht der Einzige. Über die letzten Jahre hinweg hat sich in Innsbruck eine überschaubare, jedoch interessante Musikszene gebildet. Vor allem in Innsbruck funktioniert vieles über die Netzwerke, die die Innsbrucker Musiker gemeinsam bilden. Jo ist gut mit einigen heimischen Künstlern befreundet und unterstützt die Neulinge der lokalen Musiklandschaft. Mit harter Arbeit, neuen Einfällen und Unterstützung von Fans und Kollegen will es Jo schaffen. Was ihm besonders am Herzen liegt: Andere Menschen zum Musikmachen motivieren. Für den deutschen Liedermacher Lukas Herbertson zum Beispiel war Jo selbst eine Art Vorbild. „Es ist auch schon ein kleines Ziel, andere Leute zu motivieren.“

Als wir fertig sind und uns noch zu einem kleinen Filminterview in den eisigen Treibhausgarten setzen, stören uns ein Flugzeug, die Kirchenglocken der Jesuitenkirche, der Soundcheck der Band, die an diesem Abend gastiert und ein hupender Autofahrer. „Eigentlich solltest du es genau so lassen“, meint Jo lachend. Vielleicht sollte ich das wirklich. Irgendwie passt es doch zu einem experimentierfreudigen jungen Musiker, der sich auch selbst auf die Schippe nehmen kann. Ja, ich lasse es einfach so.

 

 

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