Acht Partytypen, die auf jedem Dancefloor tanzen
oder warum ein lädiertes Bein im Nachtclub auch von Vorteil sein kann
Italien. Eine späte Sommernacht, noch einmal perfekt für kurze Hosen, noch kürzere Röcke, offene Hemden und viel Rasierwasser bzw. Parfum – auf dem Dancefloor darf geschwitzt werden, Geruchsbelästigung kommt weniger gut an (wobei dahingestellt sei, was schlimmer zu ertragen ist: Schweiß oder überdosierte Duftwässerchen). Mit dieser Beobachtung und einem lädierten Bein begann der Abend – und prompt folgte die zweite: Siehe da, the „guestlist“ never changes…
Hitze, Mief, menschliche Duftnoten. Dem entgehen die Clubbarone der Adria geschickt, indem sie ihre Dancefloors buchstäblich an die Meeresluft setzen. Mancherorts scheinen sie allerdings noch vor dem Eingang ihre Besucher dezimieren zu wollen. In Triest hielt man es für eine gute Idee, auf der zappendusteren Zugangsbrücke zu einem der Clubs ein Eisenteil zu positionieren – besonnenerweise exakt auf Höhe des Oberschenkels, sonst hätte man es im Finsteren ja sehen können. Wem die Sicht voraus durch das Gedränge versperrte wird, kann gar nicht anders als reinzulaufen.
Fazit: ein riesiger blauer, geschwollener, schmerzhafter Fleck samt Prellung, die umgehend mit Eiswürfel gekühlt werden muss. Wenn schon zu sonst nichts mehr nutze, legitimiert so ein malträtierter Beinmuskel aber wenigstens zu ungeniertem Starren auf die Tanzfläche. Langeweile kommt dabei keine auf, denn das scheinbar homogene Partyvolk zeigt sich erstaunlich abwechslungsreich und doch vertraut: Im Grunde trifft man auf dieselben altbekannten „Charaktere“ wie man sie wohl bei jedem sommerlichen Discoabend irgendwo auf der Welt antreffen kann:
So finden sich in der Artenvielfalt etwa Mauerblümchen wieder: unauffällige, zurückhaltende Burschen oder Mädels, die gerne einen auf „Löwenmaul“ machen würden – und sich dafür sogar andeutungsweise lasziv bewegen – aber an dem Umstand scheitern, dass sie sich in der tobenden Menge gänzlich unwohl fühlen. Trotzdem versuchen sie mitzuhalten, trinken mehr als gewohnt, und sind doch peinlich berührt, sobald sie über die Stränge schlagen. Geschubse wird mit erschrockenen Gesten geahndet, Bierduschen zeitig ausgewichen und ansonsten schnell ein sicheres Eckchen aufgesucht, wo sie den Raum an ihren Getränken nippend überblicken können.
Das genaue Gegenteil scheinen die Gigolos der Tanzfläche zu sein: oft zu erkennen an ihren engen Shirts oder offenen Hemden, figurbetonten Hosen, gestyltem Haar und gebräunten, gestählten Körpern (Memo: Diese Ausführung gibt es im Süden deutlich häufiger als im Norden). Ihr Ego scheint ihnen drei Schritte vorauszulaufen und auf der Tanzfläche eine Ehrenrunde zu drehen, bevor sie sich der allgemeinen Aufmerksamkeit auf dem klebrigen Boden sicher sind. Nach wenigen Moves angeln sie sich die ersten „Miezen“ und geben jeder von ihnen das Gefühl, die einzige begehrenswerte Frau im Raum zu sein. Gleichzeitig visieren sie über deren Schulter bereits die nächste Eroberung an und in den Glasfronten gelegentlich sich selbst – man sieht aber auch gut aus heute.
Besagte Miezen bilden eine eigene Gruppe. Sie lassen in jeder Hinsicht tief blicken – je knapper desto besser. Soviel Haut zu zeigen und dabei trotzdem etwas Kleiderähnliches zu tragen, grenzt an Kunst – so mancher zu tiefe Einblick zeigt allerdings: die Gradwanderung beherrscht nicht jede. Dem Selbstbewusstsein tut das keinen Abbruch. Ungerührt schieben sich die Miezen auf High Heels durch die Menge – rechts Drink, links Täschchen – und verteilen anzügliche und spöttische Blicke rasch wie Hotdog-Verkäufer ihre Brötchen: zu klein, süß, nein, nicht schlecht, uh hässliches Kleid, halloo…Prompt werden die eigenen Stoffstreifen zurechtgerückt, der Push-up in Position geschoben, die Haare geschüttelt und die Hüften im Takt gewiegt, während man sich dem Objekt der Begierde mit vermeintlichem sexy Duckface nähert oder gar siegessicher auf es wartet.
Haben die Miezen keinen Erfolg, kostet sie das ein Krönchen-rücken-und-weiter-im-Text. Die Übergangenen hingegen im Partyvolk stecken Zurückweisungen nicht so leicht weg. Sie gehören zu jenen Besuchern, die sich gerne vormachen „nur Spaß“ haben zu wollen, tief drinnen aber doch auf eine abendliche Romanze hoffen. Dieses versteckte Verlangen scheint nur leider nicht zur potentiellen „Beute“ durchzudringen. Dafür sorgt ihre nach außen zur Schau getragene gleichgültige Miene – jawohl, man kann auch alleine Spaß haben! – die dummerweise eher Desinteresse ausdrückt, worauf sie von eventuellen TanzpartnerInnen schlichtweg ignoriert werden. Tanzen diese stattdessen den Nachbar / die Nachbarin an, folgen aber enttäuschte Blicke. Ohne Flirt bleibt den Übergangenen nur still für sich weiterzutanzen. Denn so tief, dass sie sich auf die Annäherungsversuche der Yolo-Prolos einlassen, sind sie noch nicht gesunken.
Die YOLO-Prolos – in Ermangelung einer originelleren Bezeichnung – sind ähnlich wie die Gigolos von sich überzeugt, allerdings nicht so sehr, dass sie sich auch alleine auf die Tanzfläche trauen: Wer soll einem dann bestätigende Blicke zuwerfen? Sie treten oft im Rudel auf, fahren sich ständig durch pomadisierte Haarschöpfe oder rücken an ihren Basecaps, während sie in weiß polierten Sneakers betont lässig auf die Tanzfläche bouncen – mehr oder weniger im Takt der Musik, den Beat hat man schließlich intus. So manch einer gibt sogar Breakdance- und Hiphop-Moves zum Besten. Schaut dann immer noch keiner her, geht man gern zum Offensivanbraten über: inklusive antanzen, anbaggern, posen und vorhandene (oder improvisierte) Muskeln unter dem V-Ausschnitt-Shirt spielen lassen. Ergebnis: meistens genervte Blicke und Kopfschütteln.
Partykings und – queens lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie sind definitiv hier, um Spaß zu haben – mit oder ohne Tanzpartner. Sie rocken die Fläche, halten dem Alkohol wacker stand, gehen mit oder ohne Rhythmusgefühl voll in der Musik auf und sind nie einsam: egal ob Traumbody oder Röllchen, Strubbelmähne oder Pagenkopf, knappes Kleid oder Schlabberhemd – jeder unterhält sich gern mit ihnen, hält sich in ihrer Nähe auf und genießt ihre Energie und gute Laune. Sie sind es auch, die noch lange weiterziehen, wenn der Club längst geschlossen hat.
Ebenfalls standhaft, aber ruhiger geht es bei den Unnahbaren zu: gut aussehende Sportliche, die bequem mit ihren Kollegen in Hoodys und gemütlichen Sneakers an der Bar lehnen, ihr Umfeld mit lässiger „Hübschheit“ beeindrucken, sich unterhalten und dabei den Blick durch den Raum schweifen lassen. In einer Art kühlen Überlegenheit ignorieren sie die meisten Annäherungsversuche und ziehen mit ihrer „Coolness“ offenbar vor allem die zurückhaltendere Partyfraktion in ihren Bann. Tanzen scheint nicht ihres und auch das Muskelspiel der Prolo-Yolos haben die Unnahbaren nicht nötig. Sie trinken lieber locker lässig ihr Bier und überlassen die Show anderen…
…etwa den Komasäufern. Diese Partylöwen und -löwinnen sind gekommen, um zu trinken und gleichzeitig zu bleiben, da sie sich vor lauter schnell angestauter Promille schon kurze Zeit nach Eintreffen nicht mehr aufrecht von der Stelle bewegen können. Kurz bevor sie dich mit einem wilden Schlenker zu Seite schieben wollen oder dir nochmals eindrücklich ins Gesicht lallen, kippen sie um oder sinken am Ärmel ihres Kollegen zu Boden, wo sie dann an Ort und Stelle liegen bleiben. Der Hartplastikbecher scheppert unter mitleidigen oder gar spöttischen Blicken über den Boden. Wissen werden sie morgen nichts mehr davon.
Klar erhebt diese Liste weder Anspruch auf Klischeelosigkeit (für manche scheinen Klischees nur da zu sein, um sie bestmöglich zu erfüllen – was soll man sagen?) oder gar Vollständigkeit. Letztere macht die Morgenstunde unmöglich, denn mit einem lädierten Bein einen Sitzplatz zu beanspruchen, wird zu dieser Zeit problematisch – für viele schauen die Stufen der kleinen Treppe im Club mittlerweile verlockend aus. Das wars mit dem Beobachtungsposten. Egal ob Partylöwe, Mieze oder Mauerblümchen
– müde werden sie alle.
Sie verwandeln sich nun tatsächlich in eine homogene Partymasse: kein Rasierwassergeruch mehr, kein Parfum, keine intakten Frisuren oder Make-up. Wie Cinderella verlassen sie auf einen Schlag den Ball – diesmal glimpflich ohne Unfall mit Stange. Irgendjemand hat sich doch erbarmt und das Teil noch in der Nacht aus dem Weg geräumt.