Wie Weihnachten, Wetten dass, oder der Eurovision Songcontest entpuppt sich auch der Gardaseeurlaub als entzauberte Kindheitserinnerung.
Von Fabian Fioretti
Das waren doch die besten Urlaube. Quietschvergnügt strawanzte man noch spät durch die orange beschienen Gassen von Lazise, Mama an der linken, Papa an der rechten Hand. In den Läden rechts und links der Kopfsteinpflastergässchen reihten sich die Läden, die exotische Dinge wie schwarze Spaghetti oder lustig aussehende Chiantiflaschen verkauften. Orte hatten fantastische Namen: Bardolino oder Val di Sogno, das Traumtal. Wenn man bettelte, bekam man einen Cono Eiscreme mit Fior di Latte obendrauf. Das kann man nach zehn Jahren doch noch mal machen, oder?
Auf den Weg in die Stadt ist viel Verkehr. Die Nummerntafeln der vorbeizischenden Mercedes scheinen leise anzudeuten, dass die Besetzung des Territoriums durch Deutschland schließlich doch noch funktioniert hat, zumindest für die Dauer des Sommers. Malle, oder Garda, ist nur einmal im Jahr. Hat man sich einen Parkplatz erkämpft, lässt man sich treiben, hinein in die Innenstadt, denn es ist Markt, Antiquitätenmarkt. Nach den ersten Ständen folgt der Schock. Rund um den Lago di Garda ist die Vintage-Schiene übergeschwappt. Auf den Märkten, die früher wahre Allegorien der Biederkeit und die potentiellen Kleiderkästen des stolzen Proletariats waren, verkaufte man jetzt Upcycling-Taschen aus alten Magazinen, Retro-Sonnenbrillen, die man am Strand, nun ja, gefunden hat, und Sachen aus dem Gewand-Kisterl, das sonst eh nur im Keller herumsteht.
Nach zehn Minuten gelangweilten Umhergehens stelle ich fest, dass die einzigen Antiquitäten italofaschistische Propagandalektüre und Nazidevotionalien sind. Was für eine kranke Scheiße. Zeit, sich abzuseilen.
Die Gassen kochen und sprudeln vor Besuchern, die sich um einen Platz im Ristorante drängen, um ein Schnitzerl mit Pommes zu fressen. Die Häuserfronten sind abgefuckt romantisch, weil Charme kostet nix. Hat man sich durch diese Adern der Hölle bis zum Lago durchgekämpft, kann man kurz durchatmen. Neben mir steht noch jemand: Familienvater, Zigarette in der einen, Zuckerlpistole in der anderen Hand. Er nickt mir mit von schwarzen Ringen unterlaufenen Augen ernst zu. Ich nicke zurück. Draußen weint leise der See. Was ist bloß mit dem Lago passiert. Ist es das, was es bedeutet, erwachsen zu werden? Nicht mehr die Pizzakarte zu sehen, sondern den blassen Kellner hinter dem Tresen, der jetzt schon den sechsten Tag infolge die Nachtschicht schiebt?
Nein, so schnell kann man nicht alles über den Kamm scheren. Noch mal zurück ins Getummel. In der engen Gasse links stehen die Tische der Trattoria so weit in die Gasse hinaus, dass eine Piaggio Ape mit Müh und Not vorbeikäme. Familien mit vier Kindern, die Eltern schweißgebadet, genervt, ein Baby, das brüllt wie am Spieß, gegenüber ein junges Pärchen. Der Blick der jungen Frau, zwischen ihrem Gegenüber und der Familie hin und her wandernd.
„Ist er der Richtige? Will ich mit ihm durch dieses Fegefeuer gehen?“, fragen ihre ängstlichen Augen. Er schielt heimlich auf sein Hemd, weil er meint, dass er sich angekleckert hat.
Gehässigkeit macht hungrig, und so finde ich mich in einem typisch italienischen Restaurant wieder. Zitronentischdecken, Flaschen gefüllt mit Balsamico und Olio, an deren Oberflächen sich seltsam riechende Schichten angesetzt haben. Bevor man die Bestellung im Schulitalienisch im Kopf vorformuliert hat, steht schon der Kellner auf der Matte. „What would you like to drink, Sir? “ Kurz bin ich perplex. Was ist mit den italienischen Kellnern passiert? Konnte das wahr sein? Wurde man vor 10 Jahren maximal in schlechtem Deutsch bedient, kommt der jetzt mit „drink“ und „Sir“ daher? „Una bottiglia d’acqua minerale gazzata, per favore. E da mangiare vorrei una pizza con prosciutto.“ „Do you want two glasses?“ Ich fühle mich verarscht und antworte resigniert: “Yes, please.”
Der Lago hat anscheinend nicht nur seinen Charme verloren, nein, die Kellner haben nicht einmal mehr den guten Willen, mit einem selbsterklärten Bildungsbürgergutmenschen Italienisch zu reden. Che peccato. Nach dem Essen hauen wir ab. Um unseren Parkplatz prügeln sich ein Holländer und zwei Deutsche. Auf der Küstenstraße fahre ich noch einmal an einem bekannten Schild vorbei. Val di Sogno. Das Traumtal. Eher das Alptraumtal, gluckse ich selbstgefällig in mich hinein und überlege, was Alptraum auf Italienisch heißt. Naja egal, eigentlich ist die Gegend hier genauso im Eimer wie das Heilige Land Tirol. Braucht man nur mal ins Zillertal fahren. Val di Ziller, haha.