Singles sind in diesen Tagen vor besondere Herausforderungen gestellt. Tinder, Whatsapp und Co. haben ein Phänomen ans Tageslicht gebracht, das Selbstzweifler in den Wahnsinn treibt und hoffnungsvollen Glücksrittern den Tag versüßt.
Gastautor Fabian Fioretti erklärt Schrödingers Abfuhr.
Sogenannte Tinder-Pärchen begegnen schon lange keinen gerunzelten Stirnen mehr. Noch vor wenigen Jahren allerdings kam das Cyberspace als Ort des Kennenlernens ungefähr einem gemeinsamen Besuch bei den anonymen Alkoholikern, einem zeitgleichen Gefängnisaufenthalt oder dem kollaborativen Ertränken von Katzenbabys gleich. Sich heute in einer Bar oder gar beim leichten, versehentlichen berühren der Hände vor dem Bücherregal der Unibibliothek kennenzulernen ist fast nostalgisch, ja hat sogar etwas hipsterartiges an sich.
Was die aktuelle, veränderte Stelldichein-Situation jedoch mit sich bringt, reicht bis in das Gebiet der Quantenphysik hinein. Ja, Sie haben richtig gelesen: Die kleine Frau oder der kleine Mann muss sich nun neben amourösen Alltagsquälereien auch noch mit dem Phänomen von Schrödingers Abfuhr beschäftigen. Schrödingers Abfuhr liegt, wie man erst kürzlich herausgefunden hat, auf dem Weg zum ersten Date; dieses wird heute (oder eigentlich schon seit den 1990ern, wenn man Tom Hanks und Meg Ryan glauben will) eben via Email, Whatsapp, Facebook, Tinder oder was auch immer eingefädelt. Und bei jedem dieser Einfädelungsversuche kommt der Moment, an dem eine Person einer anderen Person vorschlägt, sich doch einmal zu treffen. Nach dem Drücken des Senden-Knopfs zeigt die Nachricht bei den meisten Menschen sogleich eine Lese- oder zumindest eine Sendebestätigung an.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die betreffende Person die Nachricht liest steigt mit der Zeit direkt proportional zur Angst und den Selbstzweifeln der Person, die den Text verfasst hat, doch der Ausgang steht in diesem Stadium noch in den Sternen. Die Person, die die andere Person zu einem Treffen aufgefordert hat also zugleich eine Abfuhr und ein Date erhalten.
Zwischen Anbiss und Abfuhr
Das ist das Geheimnis von Schrödingers Abfuhr: Die Zeitspanne zwischen der gesendeten, auffordernden Nachricht und dem Lesen, Verstehen, Formulieren und Abschicken der Antwort des Gegenübers ist ein Momentum zwischen den Alternativen Anbiss oder Abfuhr. Diese Situation war noch nie da. Früher wusste man, wo man stand. Ein Glücksritter nahm sein Herz in die Hand oder besser in den Mund und sprach seinen Herzensmenschen einfach an. Es kostete Nerven, es war eine Anstrengung, aber am Ende kurz und schmerzlos. Schrödingers Abfuhr dagegen kann für den postpubertär unsicheren Vasallen eine ganz schöne Plage sein. Ungefähr als würde man die Amputation eines Körperteils mit anstatt eines schwungvollen Axthiebs mit Plastikbesteck durchführen. Experten raten daher Nervenwracks, von unpersönlichen, via Smartphone durchgeführten Rendezvousreklamationen Abstand zu halten. Für Hardcore-Optimisten bringt Schrödingers Abfuhr allerdings die Möglichkeit, nicht die Hoffnung zu verlieren. Trifft die Abfuhr jedoch ein, kann den Erduldern von Schrödingers verzögerter Abfuhr leider nicht mehr geholfen werden. Ein kleiner Trost: Statistiken zufolge steigt bei den Betroffenen das Wissen über Quantenmechanik und Katzen.