Königlicher Besuch – Arcade Fire in Linz
Festival-Special: Das Ahoi! The Full Hit of Summer Open Air
Das Ahoi! The Full Hit of Summer in Linz trumpfte mit einem beeindruckenden Line-up auf und setzte sich weit über die Mainstream-Festivals hinweg.
Zum Glück sind selbst Rockstars nicht unfehlbar. Als Win Butler, Kopf der an jenem Abend neunfach besetzten Riege der Multiinstrumentalisten von Arcade Fire, angekündigt hatte, dass es später noch regnen werde, dass er sich mit solchen Dingen auskenne, streiften ratlose Blicke den Nachthimmel, kurz wirkte die Stimmung sogar betrübt. Dasselbe galt leider auch für einige der Singles, die das kommende Album „Everything now“ ankündigten. Auch wenn die Tatsache, dass neue Stücke immer eine Weile brauchen, bis sie in den Kanon einer Band wandern, sicherlich mitgespielt hat, wirkten die vier Singleauskoppelungen und das noch unveröffentlichte „Chemistry“ im Vergleich zum restlichen Set ein wenig mau.
Doch das Wetter blieb mild, die Kulisse am Donauufer atemberaubend. Schlussendlich war das Konzert der kanadischen Indie-Heroes ein Ohrenschmaus mit einigen der schönsten Stücken, die der Pop der letzten 15 Jahre zu bieten hat; ein würdiger Abschluss des zweiten Ahoi! The Full Hit of Summer Open Air in Linz.
In der Feinkostabteilung
Im Zentrum von Linz, schien es, wollte man einen Feinkostladen an musikalischen Häppchen bereitstellen. Zwischen dem Lentos Kunstmuseum und dem Brucknerhaus wirkte die Bühne mitten auf der Wiese des Donauparks vergleichsweise klein, auf den übrigen Festival-Schnickschnack hat man, abgesehen von Hipster-Schmankerln verkaufender Burgerbuden, verzichtet. Konstantin Groppers Get Well Soon sorgten mit „It’s love“ für einen leicht melancholischen, nach Interpol klingenden Start, der einen eigenartigen Kontrast zur sommerlichen Hitze darstellte. Um die Locals nicht zu kurz kommen zu lassen, hat man wohl die Salzburger Kombo „Steaming Sattelites“ eingeladen, die mit gewollter Fm4-Indiepop-Coolness ihre Songs in die Menge dudelten, und wenn schon nicht für Ekstase, so doch für zustimmendes Kopfnicken sorgten.
Auf den Plattentellern der Mitglieder von Timber Timbre hat allem Anschein nach der gute Onkel Nick Cave des Öfteren rotiert. Dunkler Folk lag noch in der Luft, als sich die Instrumental-Gruppe Explosions In The Sky auf die Bühne begab. Energetischer Rock, lange melodiöse Orgien und eine Palette von Effektpedalen, auf die vermutlich sogar the Edge von U2 neidisch gewesen wäre, hoben die Stimmung. Euphorie und ein Panorama von einem Sonnenuntergang breiteten sich zeitweise über dem Festivalgelände aus, gegen Ende des Konzerts jedoch hatte man den Eindruck, dass man dieselben Tonleitern schon zu oft hinauf und hinuntergekraxelt war. Aber halb so schlimm, the best is yet to come, oder?
Dilemma des musikalischen Understatements
Als die ersten Töne von „Wake up“ erklangen, kochte die Menge und sang aus vollem Halse. In ihrem Set vereinten Arcade Fire alle Phasen ihres Schaffens, von Tod und dem Umgang mit Verlust auf dem brillianten Debut „Funeral“ über das von noch größerem Weltschmerz geprägte „Neon Bible“, aus dem der gleichnamige Song unheimlich über die Menge hinwegrollte, während im Hintergrund ebendiese als Neonschild flackerte. Die Instrumente wurden fleißig und nicht ohne Ironie durchgewechselt, als etwa der Saxophonist seine Hände neben Will Butler – dem Synthesizer-Ass, über den Tasten stehen ließ, oder als Will Butler selbst bei der wilden Hymne „Rebellion (lies)“ auf eine kleine Trommel drosch und dabei, wie Sassan Niasseri in einer Rolling Stone Kritik schrieb, ein bisschen wie Oskar Mazerath aus Günther Grass‘ Blechtrommel aussah.
Die Tracks „Sprawl II“ und „The Suburbs“ erzählten nicht nur von Jugendträumen in der Vorstadt, sondern auch von der Glanzzeit der Band, während in „Reflektor“ die Zeilen „We fell in love/ alone on a stage / in the reflective age“ vor dem die Band spiegelnden Hintergrund in dunklem Discosound schweben. Am Ende des Songs blieb ein Gedanke an David Bowie, der in der Originalaufnahme zu hören ist. Dabei kann einem die berühmte Anekdote in den Sinn kommen, als ebendieser nach einem frühen Konzert der Band alle Exemplare ihres Albums „Funeral“ in einem New Yorker Plattenladen gekauft und an Freunde verschenkt hat. Ob er das mit dem kommenden Werk auch tun würde?
Die bisherigen Singles sind ungewöhnlich. Als Régine Chassagne die vermutlich bald schon zitierfähigen Zeilen „God make me famous / if you can, just make it painless” anstimmte, war die Stimmung keinesfalls schlecht. Dennoch schienen den Musikern die Ideen auszugehen. Fast schon schlagerartig kam der an ABBAs „Dancing Queen“ erinnernde (ja, schon wieder ein ABBA-Vergleich) Song „Everything Now“ daher. Weniger kann auch in der Pop-Musik mehr sein, aber was ist bloß mit den ausgeklügelten Arrangements der ersten Alben passiert? Droht den Kanadiern etwa ein REM-Syndrom, eine Oasifizierung, das Schicksal, unter der Last der eigenen Leistungen zu scheitern? Oder es ist einfach eine Gratwanderung, ein Understatement, eine Persiflage auf die Abstumpfung, die Oberflächlichkeit der Gesellschaft: ein Album, wie es uns gebührt?
Das Ahoi! The Full Hit of Summer Open Air hat mit einer perfekten Organisation und einer beeindruckenden Location gepaart mit einem fantastischen Line-up gute Maßstäbe gesetzt, die ruhig auch von anderen Groß-Festivals berücksichtigt werden können. Aber vielleicht besteht der Reiz dieses Festivals auch darin, dass es klein gehalten ist, fast schon intim. Man hat es geschafft, mit den kanadischen Indie-Rockern königlichen Besuch nach Österreich zu holen; eine Band dieser Klasse im kleinen Rahmen zu sehen, ist ein besonderes Erlebnis. Mit dem programmatischen Titel „Power Out“ endete schließlich das Konzert von Arcade Fire, Win Butler bildete die Nachhut. „Take care of each other“, murmelte er noch schnell ins Mikrofon, mit einem Hauch von bescheidener Größe.