unerlebt

Like waiting for fucking „Godot“

Pendeln als Knochenjob

Bahnhof(c) Alex Sorto
Offene Münder, Köpfe im Nacken, entgeisterte Blicke um 08.30 Uhr. Ich ahne bereits Böses, als ich durch die Flügeltüren am Bahnhof trete – und tatsächlich: „CANCELLATO“ flimmert es via unzähliger weißer Lämpchen über die dunkle Anzeigetafel –  einmal für jeden Zug, der den Bahnhof in den nächsten vier Stunden Richtung Norden verlassen hätte sollen…
Bahnhof 2
(c) Ugur Akdemir
accident
(c) Jason Briscoe

Das verschwundene CANCELLATO im Winkel der Anzeigentafel hinterlässt erst Ratlosigkeit, schürt dann Hektik und gibt unter den Wartenden plötzlich das Signal zur Hysterie. „So a scheiß! I muas zur Orbeit!“, „Che facciamo?“, „Hoi Mama, du, brauchsch du es Auto? Die Züge folln olle aus, butega…jo bo, wegn an Unfoll, odr so…“ Ein Unfall also, keiner weiß Genaues – wiedermal. Binnen Sekunden bilden sich Schlangen vor den wenigen Schaltern in der Wartehalle. Ich schaue mich um und versuche aus dem Rauschen der Ansage Wortfetzen herauszufiltern. Ein Unfall auf den Gleisen hat offenbar die Strecke lahmgelegt. Aber kein Wort oder Hinweis über nähere Umstände, geplante Maßnahmen, Ersatzbusse. Jeder zuckt die Achseln, Unorganisiertheit, dafür zahlen wir Steuern. Schon das zweite Mal im Verlauf einer Woche lassen nämlich sowohl die Öffis, als auch die Kommunikation kräftig Stich aus – und keineswegs das erste Mal in diesem Jahr.

Als wären die Warterei auf Anschlüsse, Ausfälle wegen Streiks, Bauarbeiten auf der Strecke oder Unfälle nicht schon genug, darf man zusätzlich um jede Information betteln. Pendeln als Knochenjob, Nervenfolter, Zeitfresser.

buses only
(c) Brian Kostiuk

Quer durch die Halle sehe ich zufällig den Beamten hinterm Schalter nach draußen deuten. Ich nehme die Beine in die Hand. Tatsächlich, ein Stück entfernt vom Bahnhof parkt ein weißer Reisebus. Nach dem Friss-oder-stirb-Prinzip, darf da jeder selbst draufkommen. Wie praktisch. Langsam nimmt auch die nervöse Pendlermeute ebenfalls Witterung auf und ist mir auf den Fersen. Nach einem Schlagabtausch um den Sitzplatz  („Hier frei?“ „Nein, besetzt.“ „Ihr Ernst?! Da drängen gleich zweihundert Leute in den Bus!“ „Tja, trotzdem besetzt“) ergattere ich noch ein kleines Eckchen neben einem fülligen Burschen und hoffe mit Blick auf die Uhr inständig, der Bus möge endlich losfahren zur Autobahn.

Bis zum letzten Quadratzentimeter gefüllt mit Nervenbündeln, setzt sich der Bus dann auch in Bewegung – allerdings Richtung Staatsstraße: Kilometer um Kilometer magenbelebende Serpentinen durch verschlafene  Örtchen, statt einer flotten dreißig Minuten Fahrt. Die ersten Telefonate an die Chefs gehen ab. Rund 1,5 Stunden versuche ich – abwechselnd Taschen und Ellenbogen meiner misslaunigen (sitzplatzneidigen) Mitpendler im Gesicht – mein Frühstück bei mir zu behalten. Dann erreicht unser schlingerndes Floß der Medusa endlich die Endstation. Nie wieder, denke ich –

waiting
(c) Max Wolfs

– und sollte mich bitter täuschen, denn Gut Ding braucht hierzulande Weile. Neun Stunden später, nach getaner Arbeit, begrüßen mich am Bahnhof erneut lange Gesichter. Noch immer gibt es Verspätungen soweit die Abfahrtsliste reicht – und wieder: Null Information, dafür viel routiniertes Schulterzucken von der hilflosen und einzigen Person am Schalter. Sie habe leider keine Ahnung. Wie Beckett`s Figuren Estragon* und Wladimir* stehen wir abwechselnd in der Hitze des Wartesaales und Kälte des Bahnsteigs, wartend auf fucking never arriving „Godot“, während die Ansagestimme die zwanzig Minuten Verspätung erst zur halbstündigen, dann zur einstündigen und schließlich zur eineinhalbstündigen Verspätung erklärt. Und noch immer weiß keiner Bescheid – weder darüber, ob Ersatzbusse fahren, noch ob die verspäteten Züge jemals am Bahnhof eintreffen werden. Viel Krise ohne Management.

Grund genug sich zu sozialisieren. Erste Gruppen bilden sich unter den Mitleidenden. Erste Taxifahrer verdienen darauf. 100 Euro – für die, die endlich heim wollen zwar kein Schnäppchen, aber ein Versprechen nach all der Ungewissheit. „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeit“, tönt der Lautsprecher. Die Leute aber haben das ungewisse Warten satt. Auf die Nachhaltigkeit geschissen, steht in manchen Gesichtern. Immer das Gleiche.

„Fahr grün“, heißt es  immer. „Denk an die Umwelt, benütz die Öffis – wir bauen das Verkehrsnetz aus!“

Damit ködern Politiker Wählerstimmen. Aber wer von der politischen Obrigkeit steht jemals stundenweise am Bahnhof? Die warten auf keinen unzuverlässigen „Godot“ – höchstens auf einen Herbert oder Carlo, der sie mit dem Privat-Taxi abholt. Genauso können es unmöglich Pendler sein, die Zuganschlüsse mit zwei Minuten Umsteigezeit planen oder gar Haltestellen neben Wohngebiete, die es zwar gibt und braucht, wo aber trotzdem kaum Züge halten.

train
(c) Mike Kotsch

Unvermittelt geht ein Raunen durch die Menge. Zwei leuchtende „Augen“ erscheinen im Norden, werden größer. „Der Zug!“ Na endlich. Mit zweistündiger Verspätung rollt er in den Bahnhof ein. Pech für jene, die nicht nur ihr Ticket umsonst entwertet haben, sondern auch vor fünf Minuten ins teure Taxi gestiegen sind. Auf dem Heimweg fahnden wir nach Zeichen eines Unfalls – und tatsächlich: verräterische Lichter in der Dunkelheit gleich neben den Gleisen, mehr aber nicht auf den ersten Blick.

Seufzend lehne ich mich zurück und überlege, ob ich mir nicht doch ein Auto finanzieren könnte – denn leider kräht kein Hahn nach deinem Umweltbewusstsein, wenn du bei der Arbeit nicht pünktlich sein kannst. Mein Sitznachbar hat scheinbar meine Gedanken erraten und deutet nach draußen. Auf der Autobahn staut es ebenfalls. Schön, bei näherer Betrachtung mag auch das Auto nicht das Gelbe vom Ei sein. Sollten sich aber die öffentlichen Verkehrsdienste nicht schleunigst eines besseren Systems bedienen, bleibt als Lösung wohl nur mehr ein Langstrecken taugliches Fahrrad. Das könnte ich mir wenigstens leisten, dafür fehlen aber dann vermutlich die Wege…

 

* „Waiting for Godot“ (Warten auf Godot) nennt sich ein Theaterstück von Samuel Beckett. Zwei Landstreicher, Estragon und Wladimir, verbringen in einer landschaftlichen Pampa ihre Zeit mit „nichts tun“, während sie auf eine Person namens Godot zu warten, von der sie nichts Näheres wissen. Sie warten vergeblich und am Ende eines jeden Aktes erscheint ein angeblich von ihm geschickter Botenjunge, der den wartenden mitteilt, dass sich Godots Ankunft weiter verzögern werde. Die Landstreicher beginnen an der Sinnhaftigkeit der Situation zu zweifeln, verharren aber weiter wartend.

Leave a Response