Das DEZ in Innsbruck ist ein Schaukasten des Tirolertums: Ein Ort, in dem Abgründe und Hochkultur so nahe beieinanderliegen wie Seegrube und Hafelekar.
Von Fabian Fioretti
Draußen in Amras gibt es einen besonderen Ort. Umgeben vom Südring, der in die Autobahn fließt, so glatt wie der Inn in die Donau, erhebt sich ein Koloss, ein Tempel, der Ort, in den die Tiroler an Samstagen zu Tausenden strömen, um zu shoppen, zu essen, zu flanieren: Das Einkaufszentrum, das Einheimische in akronymisierter Form liebevoll DEZ (sprich DÄZZ) nennen. Kein Bau in der Geschichte des Heiligen Landes verkörpert den Tiroler Spirit wohl so gut wie das Gebäude, das seine Pforten bereits 1970, auf der Welle des Alpinkapitalismus, öffnete. Jeden Samstag fahre ich dorthin, um mich umzusehen, die Menschen zu betrachten, die Autos, die Händler, die Waren.
Ich parke mein bescheidenes Gefährt unter den Statussymbolen des Patriarchats, sehe zu, wie eine vierzigjährige Frau mit an den Spitzen gefärbter Kurzhaar-Frisur aus der rechten Seite eines BMW X5 hüpft und ein kräftiger, bierbäuchiger Mann mit Igelfrisur und Marlboro im Mundwinkel in Khaki-Hosen und Tom-Tailor-Denim-T-Shirts, die die bereits erwachsenen Kinder nicht mehr anziehen, aussteigt und seinem Schatzerl die Hand reicht, um sich zusammen mit ihr beim Ruetz ein Bäcker-Frühstück in die Wampe zu hauen.
Teenager-Mütter rauchen wartend in die Kinderwagen vor ihnen, weil ihre Freunde noch einen sicheren Platz für den neuen gebrauchten VW Golf finden müssen. Die Eingangshalle verströmt den süßlichen Geruch von Backwaren, Zigarettenrauch und Schweiß. Der Griff des Einkaufswagens klebt immer ein bisschen, doch es ist mir egal. Im Zeitschriftenladen spielt ein fetter Mann Lotto.
Ich frage, ob sie hier auch den New Yorker verkaufen, um intellektuell zu wirken. Der New Yorker sei im ersten Stock, antwortet die Frau verwirrt, ich sage danke, lächle gequält, aber nicht herablassend und gehe in ein Lebensmittelgeschäft.
Ganz hinten hat mein Handy keinen Empfang, aber man muss ja nicht immer erreichbar sein. Die Kassaschlange ist mindestens zwölf Meter lang. Die Kassiererin hat keinen Stress, wiegt die Bananen genau und scannt die Strichcodes mit Bedacht. Mir ist das egal. Der Angler verliert auch nicht gleich die Nerven, wenn er zehn Minuten lang keinen Fisch fängt. Es geht immer um das Gefühl. „Zweite Kassa bitte!“, brüllt ein Mann mir ins Ohr.
Erschrocken drehe ich mich um. „Scheißladen“, zischt er. Als die zweite Kassa öffnet, rennt er als erster mit seinem Einkaufswagen rüber und rammt dabei zwei Pensionistinnen. In den Cafés bei den Eingängen sitzen alte Gigolos mit verspiegelten Sonnenbrillen und halten die Blicke tief.
Vor dem H&M im ersten Stock isst ein Opa ein Schlumpfeis, eine eigenartige Form von türkisblauer Eiscreme. Im H&M riecht es nach Raumspray und Käsefüßen. Eine Mutter geht mit ihrem geschätzt dreißigjährigen Sohn einkaufen, der aussieht, als hätte man ihn mit vierzehn an einer Autobahnraststätte vergessen und gestern wieder abgeholt: Eine Jeans, die bis zu den Knien reicht, ein Hoodie bis zu den Knöcheln und eine Schildkappe, die so weit nach hinten gekippt ist, dass sie entweder angeklebt oder angewachsen sein muss, um zu halten. „Na, Mama“, raunzt er, als sie ihm ein grau kariertes Hemd entgegenhält.
In der Buchhandlung hört man keine Schritte, weil der Boden durch einen roten Teppich gedämpft ist. Die Regale sind gefüllt mit Krimis, Erotikromanen und chick lit, dazwischen ein verstaubtes Gesamtwerk von Thomas Mann, das jemand vermutlich aus Spaß bestellt und nie abgeholt hatte.
Ich bin in leicht melancholischer Stimmung und will zum Ausgang. Zwei Sanitäter sind da. Eine alte Frau hat sich beim Bäcker an einem Kipferl verschluckt. Nach einem erfolgreichen Heimlich-Manöver hat der junge Medizinstudent, der hinter dem Tresen arbeitet, Verstärkung geholt. Da ist immer was los, im Dez.
Ich schaue noch einmal in den Mittelgang, wo Männer lustlos auf den Sofas sitzen und leer auf den Boden starren. Ich mag diesen Ort. Nächsten Samstag komme ich wieder.
Ausgezeichnet erfasst!