unerlebt

Über den Gordon gehen

Ich liege auf den harten Pflastersteinen der Altstadt. Bäuchlings. Mein leichtes Sommerkleid ist hoch gerutscht und mein weißer Hintern erleuchtet die Nacht.

erwchsen werden, weniger trinken, Alkohol, Prioritäten(c) Dennis Graham

Es ist weit nach Mitternacht. Meinem betrunkenen Hirn hat der Aufprall nicht mehr getan, als die unzähligen Wodka Shots vorher. Um mich herum steht eine Gruppe Menschen, lacht. Sie schütteln vermutlich alle den Kopf. Ich kann es nicht genau sagen, meine Wahrnehmung ist verschwommen. Aber ich erkenne einen meiner Professoren. Einige Stunden vorher saß ich noch in einem Seminar bei ihm. Jetzt steht er vor mir, leicht vorgebeugt, und fragt, ob alles okay sei. Mein Hirn ist gelähmt. Ertränkt in einer Mischung aus Wodka, Tequila und Bier. Und so gebe ich die einzig naheliegende Antwort, die frau in so einer Situation geben kann:

„Herr Müller – ich will ein Kind von Ihnen.“

Der nächste Morgen.
Ich wache auf und spüre meinen rechten Arm nicht mehr. Ich kneife und zwicke, aber nichts. Kein Gefühl, kein Kribbeln – einfach nichts. Da fällt mir der Sturz wieder ein. Der Aufprall. Und meine Aussage. Ich breche in Tränen aus. Ich weiß nicht was schlimmer ist, meine Lähmung oder, dass ich halbnackt auf offener Straße lag und meinem Professor gesagt habe, ich…

Ich drücke fester in meinen Arm, werde aggressiv. Wütend auf mich selbst. Was zur Hölle ist nur falsch mit mir? Ich muss auswandern, weggehen. Das Land verlassen, eine neue Identität annehmen. Aber wie weit komme ich mit einer halbseitigen Lähmung?! Nach gefühlten zwei Stunden, vermutlich waren es Minuten, spüre ich endlich  ein Kitzeln in meinen Fingerspitzen. Langsam kommt das Gefühl zurück. Es kribbelt, tut fast weh, aber in mir macht sich unendliche Erleichterung breit. Ich bin nicht gelähmt. Ich habe einfach nur auf meinem, alkoholbedingt, schlecht durchbluteten Arm geschlafen. Ich weine noch mehr, dieses Mal vor Glück. Zumindest ein Problem weniger, jetzt wäre da nur noch die Sache mit meinem Professor. Ich heule. Verdammte, unendliche, unsagbare Scheisse. Ich bin so bescheuert – es tut weh.

 

Das war meine letzte Begegnung mit Wodka. Wir haben uns in der Nacht gebührend voneinander verabschiedet. Und wie es nach langen Beziehungen nun mal so ist – erst Mal hat man die Schnauze voll. Lebt abstinent. Sucht sein Glück in anderen Bereichen, bildet sich weiter, hat Hobbies, ein soziales Leben. Doch irgendwann, ja irgendwann, kommt immer der Neue.

Hallo, Gin.

Es war sozusagen: Liebe auf den ersten Schluck. Der Gedanke, eine bestimme Spirituose wegzulassen, weil sie einen völlig irre und schambefreit macht, ist an sich ja sinnvoll. Findet man allerdings einen Ersatzschnaps, der einen mindestens genauso deppert macht, geht der Sinn, Hand in Hand, mit ein paar Gehirnzellen über den Jordan. Oder über den Gordon, wie es meine Freunde nennen – benannt nach einem billigen, britischen Gin. Eine ganz so peinliche Eskapade, wie die oben beschriebene, habe ich zwar nicht mehr abgeliefert, allerdings einige, die sich im Ranking direkt darunter anordnen. Und man schämt sich dann zwar, aber nach ein, zwei, manchmal drei Tagen des Leidens, ist alles irgendwie auch ganz schnell wieder vergessen. So war das zumindest früher. Bis zum letzten Wochenende. Da habe ich auch über den Durst getrunken. War laut, unangebracht und hab rum gepöbelt. Das ist jetzt fünf Tage her und ich schäme mich immer noch. Der einzige Unterschied von damals zu heute: mein Alter. Nun habe ich beschlossen mich auch von Gin zu trennen. Ein eher rationaler Entschluss. Mit nicht ganz so viel Krawall und Remmidemmi und ganz ohne Rosenkrieg. Aber doch, es ist ein Abschied. Denn was früher witzig, frech und verrückt war, ist heute nicht mehr vertretbar. Ich will nicht, dass meine Kollegen mich so sehen. Oder Vorgesetzte. Aber noch viel mehr: ich selbst will so einfach nicht mehr sein. Die Kontrolle zu verlieren, macht keinen Spaß mehr. Der Kater danach ist wie Sterben auf Raten und wird mit den Jahren immer schlimmer.

Man wird erwachsen.

 

(c) Sonja Langford

Erwachsen. Ein Wort, das lange abschreckend als Synonym für Steuererklärungen und Spießertum gedient hat. Aber ganz abgesehen von Gängen zum Finanzamt, ist erwachsen sein eigentlich ganz cool. Meine Prioritäten haben sich verändert. Ich will meinen Sonntag nicht mehr verschlafen, ich will auf den Berg. Snowboarden, wandern, rausgehen, Zeit mit Familie und Freunden verbringen. Ich habe einen Job, der mir Spaß macht und will am Montag fit ins Büro gehen können. Und ich will weg von dem eindringlich ekligen Gefühl von „was habe ich gestern Nacht nur alles angestellt“.

Das heißt natürlich nicht, dass ich nie wieder feiern gehen werde. Aber man sucht sich den Rahmen anders aus, und die Mischung im Glas. Allerdings bereue ich heute meine Eskapaden von damals nicht. Sie erzählen die verrücktesten Geschichten und die unmöglichsten Situationen. Vor allem aber sind sie immer einen Lacher wert, wenn auch auf meine Kosten. Mein Professor hat mich übrigens am nächsten Tag um ein Date gebeten – das habe ich natürlich abgelehnt. Ein wirklich tolles Empfehlungsschreiben habe ich trotzdem von ihm erhalten. Jetzt werde ich mich erst mal mit Wein und Bier daten und  schauen, wie lange die light Version gut geht.

 

 

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